Die vierte Niederlage in den letzten fünf Spielen lässt ein böses Ende befürchten - sagt Martin Jol. Bilder vom 29. Spieltag.

Dortmund. Das Ventil für den aufgestauten Ärger war in Michael Kempter schnell gefunden. "Der hat zu Hause doch nichts zu sagen", wütete Joris Mathijsen auf dem Weg in die Kabine und feuerte seine volle Getränkflasche den langen Kabinengang hinunter, bis sie zerbrach. Guy Demel war nicht minder sauer. "Der DFB sollte sich mal Gedanken machen und andere Schiris pfeifen lassen. Wir spielen hier Bundes- und nicht Kreisliga. Aus meiner Sicht war aber kein Schiedsrichter auf dem Platz", schimpfte der Ivorer. Noch in der HSV-Kabine waren seine weiteren Schimpftiraden deutlich zu hören. Ivica Olic schließlich glaubte das Alter als maßgebliches Problem erkannt zu haben. "26, 26, ... der Schiri ist 26 Jahre!"

Gemeint war der jüngste Erstliga-Schiedsrichter Michael Kempter, der den HSV zuvor schon bei der bitteren 1:4-Niederlage in Mönchengladbach am 7. März mit strittigen Entscheidungen gegen sich aufgebracht hatte. "Wir mussten hier gegen Widerstände ankämpfen, die nicht dazugehören sollten. Vielleicht ging es dem Schiri auch so, und es war einfach etwas zu viel für ihn", meckerte Collin Benjamin in Richtung des Unparteiischen.

Es schien, als trübte der kollektive Frust den Blick für das Wesentliche: Die Spieler mussten beim BVB den extremen Anforderungen einer bisher hervorragenden Saison erkennbar Tribut zollen. Wer es, wie die Mannschaft von Trainer Martin Jol, in 90 Minuten auf nur eine wirklich gute Torchance bringt (79.), darf sich nicht über die vierte Niederlage aus den vergangenen fünf Spielen (0:1 in Stuttgart, 1:2 bei Manchester City, 2:4 n. E. gegen Bremen, 0:2 in Dortmund) beschweren.

Jol war es, der nach einer kleinen Spitze Richtung Kempter ("Er ist sehr jung, so was gibt's in ganz Europa nicht. Das sollte Thema der nächsten Trainertagung sein") die Analyse versachlichte. "Wir haben im Pokal gegen Werder im Elfmeterschießen verloren, jetzt in Dortmund 0:2. Der Unterschied zwischen Erfolg und Niederlage ist zwar nur sehr klein - aber so war es eine schwarze Woche", so der Niederländer, "die Gefahr ist groß, dass wir jetzt alles verspielen."

Auch bei den Spielern mischten sich solche Befürchtungen unter die sonst üblichen stereotypen Durchhalteparolen. Indizien für die zunehmende Verunsicherung gab es ebenfalls einige, wie den erhöhten Diskussionsbedarf zwischen den Innenverteidigern Mathijsen und Gravgaard. Und spätestens die leichten Abspielfehler und Unkonzentriertheiten anderer Führungsspieler zeigen, dass die körperlich grenzwertigen Belastungen längst auch auf die Psyche der Spieler übergegriffen haben, kleinste Ärgernisse die Mannschaft aus der Bahn werfen können. Collin Benjamin bestätigte diesen Eindruck mit einem Beispiel: "Wenn du so eine Gelbe Karte kriegst wie Jarolim in der ersten Halbzeit, dann bricht das die Moral. Dann geht das in unserer Situation an die Psyche."

Womit wieder Kempter ins Spiel gebracht ist. Und das, obwohl der Sauldorfer kaum Fehler machte. HSV-Boss Bernd Hoffmann unterstrich dies und versuchte die überzogenen Reaktionen der Spieler mit der Leidenschaft zu begründen, "die die Mannschaft über die Saison hinweg ausgezeichnet hat". Jol, der sich nach dem Spiel als Schlichter erwies, indem er die aufgebrachten HSV-Profis von Kempter wegzog, hatte dann auch eigene Probleme als Ursache für die zwölfte Niederlage im 46. Pflichtspiel ausgemacht. "Wenn man an Titel denkt, muss man einfach mehr Tore machen. 54 Punkte, so viel wie letzte Saison, das ist einmalig. Aber um Meister zu werden, muss man sechs bis sieben Auswärtsspiele gewinnen. Und da waren wir gegen Dortmund einfach nicht konkret genug."

Eine Analyse, die den Zustand seiner Spieler auf dem Platz sowie im Umgang mit der schwierigen Situation bestens beschreibt und die große Gefahr verdeutlicht, binnen acht Tagen drei Titelmöglichkeiten (DFB-Pokal, deutsche Meisterschaft, Uefa-Pokal) zu verspielen. Nur gut, dass bis zum Uefa-Cup-Halbfinalhinspiel am Donnerstag in Bremen (20.45 Uhr) erstmals seit dem 7. März wieder fünf Tage Pause sind. Genug Zeit, um den Fokus von der ungerechten Behandlung in Dortmund wieder auf die eigene Leistungsstärke zu legen. "Dann ist Kempter vergessen und wir wieder frisch", verspricht Mathijsen kämpferisch. Zumindest auf "zwei Hochzeiten" will der HSV noch lange mittanzen.