Nach dem DFB-Pokal-Halbfinale zwischen dem HSV und Werder Bremen regierte in den Reihen der Hamburger Anhänger die Enttäuschung. Das Aus vor dem Wunschfinale in Berlin hinterlässt Spuren. Das Abendblatt widmet sich zehn wichtigen Fragen nach dem tragischen, nerven- und kraftraubenden Ausscheiden. Die Bilder des dramatischen Nordderbys.

1. Warum würftelte Trainer Martin Jol seine Aufstellung für das erste Nordderby personell und taktisch so gewaltig durcheinander?

Martin Jol erklärte seine überraschenden Maßnahmen mit dem körperlichen Zustand einiger Spieler. Jerome Boateng beispielsweise hatte sich gegen Hannover verletzt, sein Einsatz von Beginn an "wäre ein Risiko gewesen", so Jol. Er gab nach der Niederlage aber auch zu, dass der HSV mit Pitroipa von Beginn an mehr Druck über die Außen hätte entwickeln können.

2. Wie wirkt sich die bittere Pleite auf die Psyche der Hamburger Spieler aus

Die Enttäuschung und der Frust innerhalb des Teams sind nicht zu leugnen. Bei einigen, mental noch nicht so gefestigten Profis im Kader der "Rothosen" (z. B. Boateng, Aogo) könnte die Pleite im Elfmeterschießen Narben hinterlassen, die erst nach und nach verschwinden werden. Grundsätzlich verfügt die Mannschaft von Trainer Martin Jol aber gerade auch wegen ihrer Leitwölfe Joris Mathijsen, David Jarolim, Frank Rost, Piotr Trochowski oder auch Ivica Olic über mental gefestigte Typen, die so eine Niederlage relativ schnell abhaken können. Ein deutliches Indiz: Schon direkt nach dem Abpfiff suchten sie nach positiven Erkenntnissen und fanden diese (Mehr an Chancen trotz Unterzahl in der Verlängerung).

3. Kann die Mannschaft am Sonnabend in Dortmund schon wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte auflaufen?

Die Antwort lautet eindeutig: nein. Ähnlich wie im Spiel gegen Hannover, das unmittelbar nach dem anstrengenden Uefa-Pokal-Rückspiel in Manchester stattfand, werden sich mehrere Spieler der Pokal-Startelf mit körperlichen Wehwehchen herumplagen. Die Regenerationsphase ist extrem kurz. Je länger die Spielzeit beim BVB aber dauern wird, desto "flüssiger" werden die Hamburger Bewegungen sein. Nicht auszuschließen ist auch, dass Trainer Jol einige unverbrauchte Kräfte in die Startformation (Tavares, Benjamin) beordert.

4. Welche Spieler müssen jetzt besonders in den Vordergrund treten, um den ersten herben Rückschlag in dieser Saison zu verkraften?

Eindeutig die Führungskräfte. David Jarolim, Joris Mathijsen und Co. sind mit Taten auf dem Platz und mit verbalen Akzenten auch in der Kabine gefragt. Sie spüren am besten, in welchem atmosphärischen Zustand sich die Mannschaft nach der schmerzhaften Niederlage befindet. Aber auch Newcomer wie Dennis Aogo sind gefragt und können durch ein nahtloses Anknüpfen an die großartigen Leistungen der Vorwochen zur raschen Überbrückung des Megafrusts beitragen. Wichtig wird sein, dass das Team von internen Schuldzuweisungen der Spieler verschont bleibt.

5. Wie ernsthaft ist die Verletzung von Mladen Petric - wie lange fällt er aus?

Er hat eine Platzwunde am Schienbein, die mit acht Stichen genäht wurde. Mit dieser Verletzung wird er voraussichtlich zwei Wochen pausieren müssen. Es gibt zudem weitere Angeschlagene: Guy Demel (muskuläre Probleme), Frank Rost (Nasenprellung), Marcell Jansen (Rippenprellung) und Jerome Boateng (muskuläre Probleme).

6. Marko Marin soll kurz vor einer Vertragsunterschrift in Hamburg stehen. Wirken sich Misserfolge wie der im ersten Nordderby auf die Transferplanungen des HSV aus?

Das Ausscheiden im Pokalwettbewerb hat noch keine direkte Auswirkung auf die Kaderplanungen der Hamburger. Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass sich die Investitionsmöglichkeiten des HSV natürlich abhängig vom Saisonerfolg gestalten werden. Schafft der HSV den direkten Einzug in die Champions League, stehen Garantieeinnahmen in zweistelliger Millionenhöhe bereit, die das Vorgehen von Vorstandsboss Bernd Hoffmann und Sportchef Dietmar Beiersdorfer einfacher machen als eine Teilnahme am Uefa-Pokal. Die geplante Verpflichtung des Noch-Gladbachers Marko Marin dürfte aber schon vorher gelingen, zumal der finanzielle Rahmen für diesen geplanten Deal längst abgesteckt und mit dem Aufsichtsrat abgestimmt ist.

7. Was bedeutet die Niederlage gegen Werder für die Uefa-Pokal-Spiele und das Bundesligaduell gegen die Bremer?

Der Druck für die Hamburger wird nun um ein Vielfaches größer als für die Bremer, die ob des Pokalendspiels wesentlich entspannter in die Uefa-Pokal-Begegnungen gehen können, weil sie eine Niederlage leichter verschmerzen könnten. Für den Ligavergleich hat sich die Situation nur unwesentlich verändert. Der HSV hat angesichts der Tabellenlage viel mehr zu verlieren als Werder. Andererseits kann die Niederlage des HSV auch als zusätzliche Motivationsspritze gewertet werden - denn die Revanchegelüste der "Rothosen" sind groß.

8. Kann man Elfmeterschießen trainieren? Hat der HSV es trainiert?

Selbstverständlich kann man Elfmeter genauso trainieren wie Freistöße oder Abseitsfallen, allerdings spielen beim Elfmeterschießen neben der Schusstechnik, -platzierung und -härte auch die Komponenten Müdigkeit und Glück eine erhebliche Rolle. HSV-Trainer Martin Jol verzichtete in der Vorbereitung des Derbys auf Elfmetertraining. Seine Schützen konnte er wegen der Auswechslungen und Verletzungen auch erst nach dem Ende der Verlängerung bestimmen.

9. Wie geht Martin Jol nun auf seine Mannschaft ein?

Der Niederländer wird sich seinen Profis wie immer sehr sachlich und zielorientiert widmen. Nach dem heftigen Pokalkampf und der Schlappe wäre harte Manöverkritik an schwächeren Akteuren wie Marcell Jansen unangebracht. Jol wird viel mehr in die Detailanalyse gehen und nach personellen und taktischen Lösungswegen suchen, um die Bremer im nächsten Aufeinandertreffen zu bezwingen und ihre Torgefahr (speziell bei Standards) zu reduzieren.

10. Droht dem HSV nun ein rapider Leistungseinbruch?

Die Gefahr ist angesichts der hohen Dauerbelastung in dieser Saison vorhanden, keine Frage. Neben körperlicher und geistiger Fitness ist aber ein Aspekt nicht zu unterschätzen: der Teamgeist. Diese Mannschaft des HSV strotzt vor Gemeinschaftswillen und Selbstbewusstsein, die eigentlich auch nicht durch eine Niederlage wie gegen Bremen ausradiert werden.