Hamburg/Lillehammer. Oliver Roggischs Nehmerqualitäten sind spätestens seit dem Kinofilm "Projekt: Gold" einem breiten Publikum bekannt. In der WM-Dokumentation kann man den deutschen Abwehrhünen dabei beobachten, wie er sich am Spielfeldrand ohne Betäubung eine Platzwunde tackern lässt. Nun allerdings hilft auch kein Tackern mehr: Bei Roggisch wurde nach dem Sieg gegen Schweden ein Muskelfaserriss in der rechten Wade diagnostiziert. Als Ersatz für den Mann von den Rhein-Neckar Löwen wurde der Mindener Frank von Behren nachnominiert. Roggisch ist bei dieser EM nach Oleg Velyky der zweite schwerwiegende Ausfall im deutschen Team - und noch steht das Finalwochenende aus.

Dumm gelaufen - oder vielmehr Folgen eines systematischen Raubbaus am Körper der Athleten? Einwandfrei belegen lässt sich das nicht. Je nach Studie sind zwischen sieben und 21 Prozent der Verletzungen im Vollkontaktsport Handball auf zu hohe Beanspruchung zurückzuführen und nicht auf akute Unfälle. "Solche Überlastungsschäden können folgenschwere Auswirkungen mit längerem Sportausfall haben", berichtet der Bremer Orthopäde Hans-Gerd Pieper von seinen Erfahrungen als Mannschaftsarzt bei den Bundesligaklubs Tusem Essen und der HSG Nordhorn.

Acht Spiele werden die deutschen Handballer nach dieser EM binnen elf Tagen absolviert haben. Und schon am kommenden Wochenende nimmt die Bundesliga den Spielbetrieb wieder auf. Im Sommer folgen die Olympischen Spiele, in nur einem Jahr steht die nächste Weltmeisterschaft auf dem Programm.

"Der Modus muss schnell geändert werden", fordert Bundestrainer Heiner Brand. "Drei Hauptrundenspiele an drei Tagen, das kann nicht sein. Das mindert den sportlichen Wert der EM." Der Bundestrainer weiß sich dabei sogar im seltenen Gleichklang mit seinem französischen Amtskollegen und Intimfeind Claude Onesta, der wettert: "So viele Spiele hält keiner aus. Ein seriöses Turnier sieht anders aus." An normales Training ist selbst an spielfreien Tagen kaum zu denken: Die geschundenen Gelenke und Muskeln wollen geschont werden.

"Wie ein Stück Fleisch" würden die Spieler behandelt, klagte der französische HSV-Kapitän Guillaume Gille unlängst. Immerhin: Unter den Profis, in der Kette der Interessen von Verbänden und Fernsehsendern traditionell das schwächste Glied, regt sich zunehmend Widerstand. Es gibt Ansätze zur Gründung einer Spielergewerkschaft. Auch die Spitzenvereine drängen - schon aus Eigeninteresse - auf eine Reduzierung des internationalen Terminkalenders.

Für Oliver Roggisch kommt das zu spät. Mit schnellen Reformen ist ohnehin nicht zu rechnen. Der Terminplan für die EM 2010 in Österreich steht bereits.