HAMBURG. Wenn eine Deutsche den Europameistertitel im Marathon gewinnt, ist dies eins: überraschend. Oder sogar von epochaler Bedeutung, wie einige Leichtathletik-Experten nach dem Coup von Ulrike Maisch im vergangenen Jahr in Göteborg meinten - dem ersten deutschen EM-Erfolg überhaupt.

Die Veranstalter der großen nationalen Städteläufe freuten sich fortan auf kommende Auftritte einer lang herbeigesehnten "Nationalheldin". Hamburgs Renndirektor Wolfram Götz baute ebenfalls auf Maisch als Zugpferd, verpflichtete die heute 30-Jährige im Januar für vier Jahre. Umso schmerzhafter wiegt der kurzfristige Verzicht der Rostockerin. Eine nicht auskurierte Sprunggelenksverletzung verhindert ihren Start am Sonntag.

Erneut werden die Zuschauer an der Strecke nun vergeblich nach Deutschen Ausschau halten, die um den Sieg laufen könnten. Während bei den Frauen mit Romy Spitzmüller aus Leipzig und der Magdeburgerin Claudia Dreher zwei Athletinnen ihr Kommen angekündigt haben, die zumindest auf europäischer Ebene mithalten können, werden die deutschen Männer wohl erneut unter ferner liefen landen. Im vergangenen Jahr kam der beste von ihnen auf Rang 26 ins Ziel. 17 Minuten oder mehr als fünf Kilometer betrug der Rückstand von Dirk Schwarzbach aus Hannover auf Sieger Julio Rey (Spanien). Marathon-Welten.

"Wir müssen endlich aus dem uns bekannten Tief herauskommen", sagt Bundestrainer Detlef Uhlemann (57). Das letzte Hoch liegt bei den Männern allerdings lange zurück. Den meisten wird am ehesten noch Herbert Steffny einfallen, der 1986 einmal Dritter bei einer Europameisterschaft wurde. "Die Welt hat sich weiter entwickelt, doch wir sind stehen geblieben oder sogar einen Schritt rückwärtsgegangen", kritisierte Uhlemanns Amtsvorgänger Wolfgang Heinig unlängst im Berliner "Tagesspiegel".

An falschem Training soll es jedoch nicht liegen. Auch mangelnde Laufbegeisterung scheidet als Ursache aus. Täglich bevölkern tausende Ausdauersportler die städtischen Parks und Flussufer. "Eine sehr erfreuliche Massenbewegung", meint Uhlemann, "die für die Spitze leider überhaupt nichts bringt". Denn wer da um Alster oder Wannsee joggt, hat meistens das Alter für den Übergang zum Leistungssport bereits hinter sich gelassen.

Die Talentfindung bei Kindern und Jugendlichen gestaltet sich schwierig. Zu groß ist die Konkurrenz anderer Sportarten. "Später müssen unsere Athleten dann Abstriche bei Studium und Beruf machen", weiß der Nationalcoach. "Und das mit dem Wissen, dass sie wahrscheinlich nicht davon leben können." Anders als in Afrika oder einigen osteuropäischen Ländern bietet das Laufen in Deutschland eben nicht die Chance zum sozialen Aufstieg.

So stehen am Ende Dutzenden kenianischen Langstrecklern nur eine Handvoll Deutscher mit Potenzial für die Spitze gegenüber. Um diese bei der Stange zu halten, versucht Uhlemann machbare Normen für die Jahreshöhepunkte zu setzen. Das WM-Ticket in Japan könnte sich Kaderläufer Martin Beckmann (Leinfelden) mit einer Zeit von 2:17 Stunden in Hamburg sichern. Weit entfernt vom deutschen Rekord (2:08:47) des zweimaligen und einzigen deutschen Hamburg-Siegers Jörg Peter (1990/91). Für diese Zeit müsste heute schon ein Laufwunder her.