Boxen: Die Schwergewichts-WM in der Color-Line-Arena wurde zur legendären Ringschlacht. Lob von allen Seiten trotz schwerer K.-o.-Niederlage gegen Lamon Brewster - Luan Krasniqi hat die Sympathien der Fans erobert.

Hamburg. Am Tag nach der Ringschlacht saß Luan Krasniqi in seiner Hamburger Wohnung und versuchte, die Geschehnisse des Vorabends zu verarbeiten. Bei ihm war nur seine Verlobte Sueda. Erstaunlich klar und nüchtern konnte der 34 Jahre alte Schwergewichts-Boxprofi aus dem Hamburger Universum-Stall, der nach dem Kampf im Hotel Treudelberg sofort in tiefen Schlaf gefallen war, analysieren, was ihm am späten Mittwochabend in der Color-Line-Arena passiert war. "Ich habe die Deckung heruntergenommen, weil ich zu überheblich war und dachte, ich hätte ihn im Sack. Da habe ich Lehrgeld gezahlt", war seine Beschreibung des Moments, der den Auftakt zum Ende eines Schwergewichts-WM-Kampfs darstellte, über den in Deutschland sicherlich noch lange gesprochen werden wird.

Krasniqi hatte bis zur achten Runde des Duells mit WBO-Weltmeister Lamon Brewster (USA) so ziemlich alles richtig gemacht, was er richtig machen konnte. Seine Taktik, den erwartet ungestüm angreifenden Champion mit dem linken Jab auf Distanz zu halten und so zu zermürben, war aufgegangen. Seinerseits hatte er mit harten Kopftreffern gepunktet und lag auf allen drei Punktzetteln zwischen einem und fünf Punkten vorn - bis er den Fehler machte, auf den sein Kontrahent gewartet hatte. Mit einer blitzschnellen und knallharten Kombination aus drei linken und einer rechten Geraden schickte Brewster Krasniqi zu Boden, zum ersten Mal in dessen Karriere. "Ich hatte es mir viel schlimmer vorgestellt", sagte er gestern, als immerhin die körperliche Pein erträglich geworden war.

Daß er sich von diesem brutalen Niederschlag erholte, war nur Ringrichter Jose Rivera (Puerto Rico) zuzuschreiben, der 17 Sekunden benötigte, um bis zehn zu zählen, und der Krasniqi so die Zeit gab, sich in die Rundenpause zu retten. "Nach dem Niederschlag war ich wie benebelt, ich wußte nicht mehr, wo hinten und vorne war", gab Krasniqi zu. Dennoch entschied er gemeinsam mit Trainer Torsten Schmitz, zur neunten Runde anzutreten. Was dann passierte, riß auch den letzten der 14 600 Zuschauer in der nicht ganz ausverkauften Arena von seinem Sitz. Der neben sich stehende Krasniqi und der konditionell völlig ausgepumpte Brewster schlugen wie von Sinnen und völlig ohne Deckung aufeinander ein, beide Boxer wankten durch den Ring wie zwei Betrunkene aus der Kneipe. Erst als es Brewster schließlich gelang, seinen Gegner mit einer weiteren linken Geraden durch die Ringseile zu prügeln, war das Ende gekommen. Krasniqi stolperte zurück in seine Ecke ("Ich wußte gar nicht, was ich da wollte") und schüttelte auf Riveras Frage, ob er noch kämpfen wolle, den Kopf. Es war die einzig richtige Entscheidung. Brewster registrierte das Kampfende aus der neutralen Ecke mit offen stehendem Mund und leichtem Kopfschütteln. Die Arme zum Sieg zu erheben, das gelang ihm nicht mehr. Von zwei Betreuern mußte er in seine Ecke getragen werden.

Das, was alle dachten, faßte der Technische Leiter des Universum-Stalls, Jean-Marcel Nartz, in die treffendsten Worte: "Das war einer der besten Schwergewichtskämpfe der letzten Jahre. Da war richtig Pfeffer drin." Der Weltmeister zollte seinem boxtechnisch überlegenen Herausforderer großen Respekt: "Am Ende hat nicht das Können entschieden, sondern nur der Wille. Und da war ich einen Tick stärker." Brewsters Promoter Don King sagte: "Luan hat gekämpft wie ein echter Krieger, er kann stolz auf sich sein. Er hat eine zweite WM-Chance verdient."

Die soll er, wenn es nach Universum-Chef Klaus-Peter Kohl geht, auch bald bekommen. Kohl hatte die Schlappe sichtlich mitgenommen. "Ich war mir so sicher, daß er gewinnt", sagte er am frühen Donnerstagmorgen auf der VIP-Party. Spätestens beim Blick auf die für einen Mittwochabend überragenden TV-Quoten - 7,62 Millionen im Durchschnitt und 8,01 in der Spitze - kehrte jedoch die gute Laune wieder zurück. Kohl weiß: Krasniqi ist ab sofort perfekt zu vermarkten. Er hat zwar einen Kampf verloren, aber die Herzen der Fans gewonnen. Was besonders schön zu sehen war: Wurde der gebürtige Kosovo-Albaner in vorangegangenen Kämpfen hauptsächlich von Fans aus seinem Geburtsland unterstützt, so standen diesmal einträchtig Deutsche und Albaner hinter ihm, bejubelten ihn mit "Luan, Luan"-Sprechchören. "Das hat mir viel Kraft gegeben", sagte der Gefeierte. Krasniqi, Deutscher seit 1994, scheint in seiner Wahlheimat endlich angekommen - auch wenn er sie nun nach ein paar Tagen Aufenthalt in Hamburg für eine mehrwöchige Urlaubsreise verlassen wird.

Auch gestern noch betonte er, wie leid es ihm tue, beim Versuch gescheitert zu sein, als zweiter Deutscher nach Max Schmeling Weltmeister im Schwergewicht zu werden. Zum Gedenken an die Legende, die am Mittwoch 100 Jahre alt geworden wäre, war der Kampfabend veranstaltet worden. Vielleicht, so mutmaßten einige, soll es keinen Nachfolger geben, weil niemand diese Rolle verkörpern könnte. Auch wenn Max Schmeling so niemals gedacht hat: Luan Krasniqi muß bis auf weiteres mit der Tatsache zufrieden sein, daß er ein würdiger Nachfolger gewesen wäre.