Tour de France: Warum auch das neue System dem T-Mobile-Fahrer nicht den gewünschten Erfolg gezeitigt hat.

Pau/Hamburg. In diesem Jahr sollte endlich alles anders werden. "Ich bin bereit, Lance Armstrong abzulösen", tönte Jan Ullrich vor der Tour im Männer-Magazin "Men's Health". Am zweiten Ruhetag in Pau, am Rande der Pyrenäen, wichen die vollmundigen Ankündigungen endgültig einer neuen Bescheidenheit. "Im Herzen bin ich superglücklich, daß ich Vierter bin und nicht 60.", offenbarte Ullrich im schmucken Teamhotel "Parc Beaumont".

Die Erklärung konnte indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß der T-Mobile-Kapitän einmal mehr meilenweit an seinen hochgesteckten Zielen vorbeisteuert. Dabei verlief seine Vorbereitung diesmal zwar wesentlich reibungsloser als in den Vorjahren, war jedoch alles andere als perfekt.

Wie in der Vergangenheit versuchte Ullrich vornehmlich über intensives Solotraining mit seinem persönlichen Berater Rudy Pevenage die nötige Fitness für das Duell mit Lance Armstrong zu holen. Bei Rennen sah man den Wahlschweizer hingegen nur selten. Und wenn, dann rollte er bar jeder Ambition nur mit.

"Jan Ullrich ist kein richtiger Profi, er macht seine Arbeit nicht gut", monierte dieser Tage Frankreichs Rad-Idol Raymond Poulidor. Auch der 69jährige galt zu seiner Zeit als "ewiger Zweiter", konnte seinen Erzrivalen Jacques Anquetil nie bezwingen. Dennoch verbat er sich Vergleiche mit Ullrich ganz entschieden. "Er fährt zuwenig Rennen und trainiert nur. Er hat nicht die Beine, um Armstrong zu schlagen", so "Poupou", der die Tour dreimal auf Rang zwei beendete.

Der Verzicht auf harte Rennkilometer sollte sich für Ullrich ebenso rächen, wie die standhafte Verweigerung, endlich an seinem Fahrstil zu feilen. Dicke Gänge über einen langen Zeitraum gleichmäßig treten zu können, ist beim Solokampf gegen die Uhr sicher ein äußerst effektives Mittel. Um in den Bergen aber Armstrongs giftigen Attacken zu widerstehen, taugt es nicht. Sobald der Texaner aus dem Sattel geht, um in seinem typischen Spinning-Stil mit kleinen Gängen davonzustiefeln, ist Ullrich mit seinem zu DDR-Zeiten angeeigneten Latein am Ende.

Die neue Freiheit, auch jene, die ihm das T-Team nach seinem erzwungenen Abstecher zu Bianchi einräumte, hat Ullrich weder innovativer noch besser, geschweige denn erfolgreicher gemacht. In der Telekom-Ära wurde er auf Schritt und Tritt bewacht und abgeschirmt. Er habe es sogar hingenommen, sich von seinem belgischen Teamchef in den Kühlschrank schauen lassen, wie es Profikollege Marcel Wüst einmal bissig formulierte.

Nach der Rückkehr Ullrichs in den Schoß der T-Family trat an die Stelle des Rundum-Sorglos-Pakets ein hohes Maß an Eigenverantwortung. Ullrich durfte nicht nur seine gesamte Entourage mitbringen, wie die persönliche Physiotherapeutin Birgit Krohme, seinen Bruder Stefan als Privatmechaniker oder Teamkollege Tobias Steinhauser, den Bruder seiner neuen Liebe Sara.

Dem 31jährigen wurde auch gestattet, weitesgehend autark zu trainieren und seine Saisonstarts selbst zu bestimmen. Toleriert wurde dabei nicht nur, daß sich der Vorreiter wieder einmal ausschließlich für die Tour präparierte, als gäbe es nicht noch zahlreiche andere große Herausforderungen im üppigen Rennkalender. Letztlich nahm er auch großen Einfluß auf die Formierung des Tour-Teams.

So bestand Ullrich auf Startplätze für Steinhauser und Stephan Schreck, die die Klasse für die Tour zumeist schuldig blieben. Dafür mußte ein Mann wie der Spanier Paco Lara zu Hause bleiben, dem laut Team-Homepage offenbar "kein Gipfel zu hoch" ist. "Wäre nach Leistung nominiert worden, hätte das T-Mobile-Team anders aussehen müssen", befand nicht nur der ehemalige Telekom-Profi Jens Heppner.

Angeblich träumt Jan Ullrich von einem erneuten Angriff auf den zweiten Toursieg im nächsten Jahr. Altmeister Rudi Altig nimmt den deutschen Fans aber schon jetzt alle Illusionen: "Ich habe das Gefühl, Ullrich hat keinen Spaß mehr an seinem Job."