Noch nie in der Klubgeschichte konnten die Hamburger diesen Europacup gewinnen - Trochowski fällt gegen die Türken aus, der Däne Gravgaard sitzt nur auf der Bank.

Istanbul. Auch heute wird am belebten Taksim-Platz wieder ein enormer Lärmpegel herrschen, ein enges Gedränge in der rauchigen Luft. Schnelle, umsichtige Reaktionen sind gefragt für das erfolgreiche Weiterkommen. Eigentlich müsste Trainer Martin Jol seine Spieler mit einem Leihwagen in die Straßen rund um den Istanbuler Taksim-Platz schicken, wo der Verkehr so dicht und stockend verläuft, dass Verkäufer auf der Straße frische Getränke feilbieten. Es wäre die ideale Vorbereitungseinheit für das heutige Achtelfinal-Rückspiel gegen Galatasaray Istanbul (20.30 Uhr, MEZ, ZDF live) in der "Cehennem", der "Hölle" des Ali Sami Yen Stadions.

Die Wirklichkeit der HSV-Spieler sah gestern jedoch ganz anders aus. Als der Mannschaftsbus um 14.37 Uhr das Eingangstor des Ciragan Palace Kempinski direkt am Bosporus passierte, erschloss sich den Profis eine stille Luxus-Oase. Der ehemalige Sultanspalast wurde bis 2007 aufwendig restauriert und zu einem prunkvollen Fünf-Sterne-Hotel umgebaut, mit 284 Zimmern, einem Ballsaal für 1000 Personen und 31 Luxus-Suiten. Die teuerste kostet 50 000 Euro - am Tag. Ein Hubschrauber-Landeplatz, der Schiffsanleger, hier fehlt es wirklich an nichts.

Die Spieler bekamen von all dem nichts mit, ein unterhaltsames Rahmenprogramm war nicht vorgesehen. Nach der Ankunft war ein Essen angesetzt, danach Bettruhe. Martin Jol hatte für all diese Schönheiten ebenfalls kaum ein Auge übrig. Als er die Mannschaft um 19 Uhr bei kühlen und später regnerischen zwei bis drei Grad im Ali Sami Yen Stadion zum Abschlusstraining bat, fehlte ausgerechnet Piotr Trochowski. Der Mittelfeldspieler fällt definitiv heute aus (siehe Interview mit unten). Auch Abwehrmann Michael Gravgaard, der nur ein Lauftraining im Park hinter dem Hotel absolvieren konnte, kann nur auf der Bank sitzen. "Das ist ein Risiko, wenn er spielt kann es sein, dass er für längere Zeit ausfällt", sagte Jol, "aber ich habe keine Wahl, ich habe nicht mehr viele Verteidiger".

Keine guten Vorzeichen für die Jagd nach der letzten im HSV-Museum noch fehlenden Trophäe nach den Triumphen im Pokalsieger-Cup (1977) und dem Landesmeister-Wettbewerb (1983). Sollte es dem HSV nach dem 1:1 im Hinspiel gelingen, das Viertelfinale zu erreichen, wäre dies das erste Mal seit der Saison 1989/90, als dann gegen Juventus Turin Endstation war. In den letzten zwei Uefa-Cup-Teilnahmen scheiterte der HSV jeweils unglücklich im Achtelfinale: 2006 an Rapid Bukarest (0:2, 3:1) und 2008 an Bayer Leverkusen (0:1, 3:2).

Eine gehörige Dosis südländische Begeisterung werden die Hamburger Profis erst heute Abend einnehmen. Der Empfang war eher hanseatisch zurückhaltend. Keine Fans am Flughafen, kein Auflauf am Hotel oder am Stadion, das in seinen Ausmaßen und dem Modernitätsgrad eher an das Millerntor-Stadion erinnert. Der Rasen allerdings präsentierte sich in einem sehr passablen Zustand. 2010 soll die Turk Telekom Arena, die Platz für 58 000 Zuschauer bieten soll, fertiggestellt sein, dann wird das Ali Sami Yen Stadion eingemottet.

Ein frei nach Max Weber "heißes Herz und einen kühlen Verstand" forderte Sportchef Dietmar Beiersdorfer von seinen Spielern, um zu bestehen. Selbstvertrauen sollte den Profis geben, dass alle vier Auswärtspartien in dieser Saison im Europacup gewonnen wurden: In Urziceni (1:0), Zilina (2:1), Prag (2:0 und Nijmegen (3:0).

Doch angesichts der Ausfälle von Trochowski, Petric, Guy Demel und wohl auch Gravgaard stellt sich die Frage, wie die jungen Spieler wie Boateng oder Aogo mit dem Druck und dem "Endspiel-Charakter" der Begegnung klarkommen.

"Wir fahren mit vollem Selbstvertrauen nach Istanbul", versuchte Marcell Jansen seinen Mitspielern die positive Sichtweise zu vermitteln. "Das macht doch Spaß."

Sollte dem HSV tatsächlich der Viertelfinal-Coup gelingen, wäre ausreichend Platz, um im Ciragan Palace zu feiern. Schon im osmanischen Reich diente der Palast als eine Art Nachtklub. Wenn das kein Omen ist. Und Klubmanager Bernd Wehmeyer hat schließlich auch schon seinen nächsten Flug gebucht. Am Freitag um 5.25 Uhr von Istanbul nach Genf. Im nahen Nyon findet am Mittag die Auslosung der nächsten Runde statt.

HSV: Rost - Boateng, Alex Silva, Mathijsen, Aogo - Pitroipa, Jarolim, Benjamin, Jansen - Guerrero, Olic.


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