Manager Schwenker bat um Urlaub. Der Verein schaltet den Staatsanwalt ein.

Hamburg. Sie applaudierten ihren mitgereisten Fans, bedankten sich für die Unterstützung. Die Spieler des THW Kiel hatten die lange Erfolgsgeschichte des deutschen Handball-Rekordmeisters trotz der 33:35-(18:18)-Niederlage bei Ciudad Real um ein weiteres Kapitel bereichert. Dass sie nach 36 Siegen in Folge wieder verloren hatten, trübte die Stimmung nicht. Das triumphale 33:26 im Hinspiel sicherte den Kielern vor dem spanischen Titelverteidiger den Sieg in der Hauptrundengruppe vier der Champions League.

Bei der Auslosung des Viertelfinales heute Abend in Wien wird ein Mann nicht dabei sein, den sie in Kiel als Architekten der Erfolge feiern. Manager Uwe Schwenker hat für diese Woche alle Termine abgesagt und gestern im Verein um Urlaub gebeten. Der wurde ihm gewährt. THW-Gesellschafter Georg Wegner hatte zuvor die Kieler Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Es gelte, so der Klub, "die bösartigen Gerüchte und Verleumdungen, denen jegliche tatsächliche Basis fehlt", aufzuklären.

Seit acht Tagen bestehen Bestechungsvorwürfe gegen Schwenker und den ehemaligen THW-Trainer Zvonimir Serdarusic. Die Kieler sollen in der Champions League Schiedsrichter gekauft haben, konkret die Polen Miroslaw Baum und Marek Goralczyk. Sie leiteten am 29. April 2007 das Finalrückspiel gegen Flensburg. Kiel siegte 29:27, gewann erstmals den Pokal.

"Der Spiegel" hat die Anschuldigungen jetzt untermauert. Das Nachrichtenmagazin beruft sich auf ein Protokoll der Rhein-Neckar Löwen vom 17. Februar. Darin hatten die Gesellschafter des Vereins empfohlen, den zum 1. Juli geschlossenen Dreijahresvertrag mit Serdarusic aufzulösen. Als Begründung diente ein Treffen vom 11. Februar mit Serdarusic in Kiel. Der Trainer soll Löwen-Manager Torsten Storm, -Gesellschafter Jesper Nielsen und einem Klubanwalt über jahrelange Bestechungen in der Champions League berichtet haben, zehn Fällen seit 2000. Für das Rückspiel gegen Flensburg seien in zwei Tranchen 96 000 Euro geflossen, 45 000 davon einem angeblichen Spielerberater in Zagreb überwiesen worden. Serdarusic hätte sogar Kontoauszüge zeigen können. Dieser Trainer, beschlossen die Gesellschafter später, passe nicht zu ihnen. Serdarusic sagte am 25. Februar bei den Löwen "wegen gesundheitlicher Probleme" ab. Storm sagte gestern dem TV-Sender Eurosport: "Wir haben mit Serdarusic zusammengesessen, und auch er hat Gerüchte bestätigt."

Serdarusic ist nach einer Bandscheiben- und Knieoperation rekonvaleszent. Über die Gründe seiner angeblichen Offenheit kann nur gemutmaßt werden. Die Löwen hatten sich seit Monaten um die Dienste des Kieler Weltstars Nikola Karabatic bemüht. Der THW verlangte für den wechselwilligen Franzosen drei Millionen Euro Ablöse. Vielleicht glaubte Serdarusic seinem künftigen Arbeitgeber Argumentationshilfen für die Verhandlungen zu liefern. Hinzu kommt: Seit Schwenker Serdarusic im Sommer 2008 in Kiel beurlaubte, ist ihm der Hass des gebürtigen Jugoslawen gewiss. Die Trennung des vom Erfolg besessenen Duos überraschte. Private Konflikte waren der Auslöser.

Serdarusic, Schwenker und die polnischen Schiedsrichter haben bis heute alle Unterstellungen wiederholt zurückgewiesen. Die Europäische Handball-Föderation (EHF) und die Handball-Bundesliga (HBL) hatten bereits in der vergangenen Woche ihre zwischenzeitlichen Nachforschungen eingestellt und den Fall zu den Akten gelegt. HBL-Präsident Reiner Witte sieht nach den Veröffentlichungen keinen neuen Handlungsbedarf. "Das meiste war uns bekannt, nur die Zahl der angeblichen Fälle nicht und dass es Kontoauszüge geben soll. Es gibt weiter keine belastbaren Fakten, das sind alles Spekulationen", sagte Witte dem Abendblatt. Seine Präsidumskollegen drängten ihn gestern jedoch, heute eine Unterredung mit der Kieler Staatsanwaltschaft zu suchen. Das hat sich nach Vorstoß des THW bei der Behörde erledigt.

Im Gegensatz zur HBL kommt der Fall heute beim europäischen Verband am Rande der Champions-League-Auslosung wieder auf den Tisch. Dass Schiedsrichter im Handball nicht über jeden Verdacht erhaben sind, ist der Szene seit Jahrzehnten bekannt. Sollten die Anschuldigungen gegen den THW zutreffen, könnte ein Motiv der Bestechungen sein, dem Gegner zuvorzukommen. 2008, als die Kieler das Champions-League-Finale in der Ostseehalle gegen Ciudad Real verloren, waren sie möglicherweise zu spät dran. Schon am Morgen des zweiten Endspiels, so "Der Spiegel", hätte Serdarusic gewusst, keine Chance mehr zu haben. Seine Begründung: Die Schiedsrichter hätten das Geld des THW abgelehnt. Was für die Geschichte spricht: Serdarusic wirkte konsterniert, griff in die Begegnung kaum von der Bank aus ein. Er mag gewusst haben, warum.