Vier Macher von Altona 93, SC Victoria, Eintracht Norderstedt und BU diskutierten über das mangelnde Verständnis des Verbands, fehlende Sponsoren und den ungleichen TV-Kampf gegen Manchester United.

Abendblatt:

Herr Barthel, Altona 93 ist das Aushängeschild des Hamburger Amateurfußballs. Wie geht es dem Verein in der neu eingeführten Regionalliga?

Dirk Barthel (Altona):

Sehr schlecht. Wir werden unseren Etat, der bereits der kleinste aller Regionalligaklubs ist, weiter abbauen müssen. Es ist heutzutage sehr schwer, Sponsoren zu finden. Das fängt schon bei 20 Euro für die Stadionzeitung an.



Abendblatt:

Bedingt die Spielklasse die angespannte Situation, oder geht es dem Amateurfußball generell schlecht?

Ronald Lotz (SC Victoria):

In einem Stadtstaat hat man große Konkurrenz in direkter Nachbarschaft. Alle buhlen um Zuschauer und Sponsoren. Hinzu kommen die Fußballspiele im TV und die Finanzkrise.



Volker Brumm (BU):

Wir merken es bei der Etatplanung. Die Zusagen der Sponsoren sind sehr zögerlich. Allerdings haben wir das Glück, viele kleine Sponsoren zu haben und nicht den einen ganz großen.



Lotz:

Bei uns macht der größte Sponsor auch nur noch 40 Prozent aus. Allerdings erfordert diese Philosophie auch viel Arbeit. Das sind Kontakte, die gepflegt werden müssen. Man muss seine Sachen dann auch mal in die Reinigung geben, die für den Verein Geld gibt.



Marco Krausz (Norderstedt):

Auf Sicht sind Regionalliga- und auch ambitionierter Oberligafußball aber ohne einen finanziell potenten Sponsor gar nicht mehr möglich. Zumal man Zuschauereinnahmen nicht als wichtigen Faktor in die eigene Planung mit einbeziehen sollte - siehe die Tragödie bei der Partie Altona gegen Magdeburg.



Abendblatt:

Das Spiel war abgesagt und mittags an einem Wochentag nachgeholt worden.

Krausz:

Der große DFB hat sich nicht nur in dieser Situation dilettantisch verhalten. Der Verband handelt fahrlässig und ohne Verständnis für unsere Belange. Diese Entscheidungen bedeuten den Tod des Amateurfußballs...



Brumm:

...der bei den hohen Auflagen in der Regionalliga mittlerweile für viele Vereine sowieso nur noch bis zur Oberliga gespielt werden kann. Traditionsvereine wie BU werden nie wieder höherklassig Fußball spielen. Uns fehlt es am Stadion, an der Infrastruktur und am finanziellen Background.



Krausz:

Warum sollte ich als Verein überhaupt noch Ambitionen haben, Erster in einer Oberliga zu werden, wenn ich weiß, dass die Probleme in der Regionalliga erst so richtig anfangen? Das ist eine grausame Entwicklung, wenn der sportliche Anreiz nicht mehr da ist. Und das kann doch auch nicht im Interesse des DFB sein. Nur wer Geld hat, darf in der Regionalliga spielen. Wenn der Fünfte aufsteigt, nur weil er die DFB-Regularien erfüllt, brauchen wir uns nicht mehr auf dem Platz zu bekämpfen, dann können wir den Aufstieg auch am Grünen Tisch aushandeln.



Abendblatt:

Liegt der Fehler in der Spielklassenstrukturreform? Müsste es mehr als nur drei Regionalligen geben?

Brumm:

Ich hätte mir eine Regionalliga Nord mit Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Bremen gewünscht. Der Stressfaktor mit den vielen langen Auswärtsfahrten ist hoch, ich muss Angst haben, dass ich auf dem Rückweg eine Gehwegplatte in der Windschutzscheibe habe. Und ich will nicht gleich einen Zaun bauen müssen, wenn ich aufsteige.



Abendblatt:

Wer könnte und will denn in Hamburg überhaupt in die Regionalliga aufsteigen?

Brumm:

Norderstedt und Vicky haben das Stadion, Altona hoffentlich auch bald. Wir hätten vielleicht die Atmosphäre, aber nicht das Stadion.



Abendblatt:

Man könnte doch umziehen.

Brumm:

Das hat BU vor 35 Jahren gemacht. Dass BU seine Heimat verlassen hat, war damals der Anfang vom Ende. Ich könnte mir das auch nicht vorstellen, mit BU durch Hamburg zu reisen. Für die traditionsbewussten, älteren Zuschauer, die noch gucken kommen, weil sie keinen Premiere-Decoder haben, gilt das Gleiche. Die gehen kurz vor die Tür um die Ecke zum Fußball.



Abendblatt:

Das Problem des Zuschauerschwunds dürften alle Amateurklubs kennen.

Krausz:

Die Fußball-Zeiten im TV sind entscheidend. Ab der nächsten Saison kann man von Freitagabend 18 Uhr bis Sonntag 19.15 Uhr fast nonstop Bundesliga und Zweite Liga schauen. Hinzu kommt noch Dritte Liga und Auslandsfußball aus England und Spanien.



Barthel:

Da geht doch keiner mehr ins Stadion.



Krausz:

Warum soll ich mir Norderstedt gegen Voran Ohe anschauen, wenn ich sonntags um 13 Uhr bequem auf dem Sofa live bei Liverpool gegen ManU dabei sein kann? Den Kampf gegen Manchester können wir nicht gewinnen, denn durch die Auflagen geht auch für den Zuschauer der Reiz verloren. Es gibt keine Endspiele mehr. Da spielt am vorletzten Spieltag vielleicht der Erste gegen den Zweiten, und alle wissen, dass beide am Saisonende aus wirtschaftlichen Gründen nicht aufsteigen werden. Dadurch bleiben 150 bis 200 Zuschauer weg.



Barthel:

In den Stadien mit den Zäunen macht das doch auch keinen Spaß. Da verlieren sich 300 Zuschauer auch mal ganz schnell. Das ist atypisch für den emotionalen Fußball.



Abendblatt:

Wie wichtig sind für einen Amateurverein die Zuschauer? 20 Zuschauer weniger pro Heimspiel bedeuten am Saisonende ungefähr 1000 Euro Mindereinnahme. Viel Geld für einen Amateurklub?

Krausz:

Es sind ja nicht nur die Zuschauereinnahmen, die fehlen. Das sind auch 20 Leute weniger, die die Bandenwerbung im Stadion sehen. 20 Leute weniger, die für ein positives Image stehen. Wie zum Beispiel BU, die immer 200 oder 300 Zuschauer haben. In Lurup spielst du nur vor 80 oder 100. Das ist ja auch ein Argument, zu so einem Verein zu wechseln. Zumindest für echte Fußballer.



Brumm:

Und dann kommt noch der Klubheimwirt, der sich beklagt, dass keiner mehr kommt.



Krausz:

Im Zuschauerbereich fehlt uns der Nachwuchs.



Abendblatt:

Was kann man denn gegen diese Entwicklung unternehmen? Im Kreis Gelsenkirchen wird am 1. März gestreikt.

Brumm:

Es kann sein, dass man da demnächst auf einem Ausspracheabend einen ähnlichen Konsens findet und diesen vorträgt. Aber bislang ist da noch nichts passiert.



Abendblatt:

Fühlt man sich als Amateur vom DFB im Stich gelassen?

Brumm:

Ich habe ja noch nie einen von denen zu Gesicht bekommen. Ich wüsste gar nicht, bei wem ich mich beschweren sollte. Die Entscheidungen nimmt man zur Kenntnis. Das ist eine andere Welt. Eigentlich müsste das HFV-Präsidium uns da ja vertreten.



Krausz:

Wenn man sich die Entscheidungen in Ruhe anschaut, stellt man fest, dass da kaum eine pro Amateure getroffen wurde.



Lotz:

Ich muss jetzt mal dagegen sprechen. Beim Stadionbau an der Hoheluft habe ich mich immer über die hohen Sicherheitsauflagen mit hohen Zäunen und Blocktrennung gewundert - bis in der Saison dann Chemnitz kam. Da reisten kahlköpfige Schläger mit bandagierten Händen und Mundschutz an, das waren kriegsähnliche Zustände. Da lagen Autos mit dem Dach auf der Straße. Da war ich froh, dass der Zaun so hoch war und 80 Ordner da waren.



Brumm:

Und noch mal zum Streik: Was sollen wir als Hamburger denn ausrichten? Die großen Landesverbände Hessen und Bayern sind doch riesengroß. Warum gehen die nicht auf die Barrikaden? Ich weiß auch nicht, was man im Endeffekt erreichen will und kann. Welche Vision sollte man als Amateurverein denn haben? Die Anstoßzeiten stehen fest, der Kuchen ist verteilt.



Abendblatt:

Das klingt doch nach Resignation.

Brumm:

Vielleicht ist aber genau das auch der Zweck des Ganzen.



Lotz:

Jede Minute, die man in die Familie statt in den Fußball investieren würde, wäre besser investiert. Aber wir sind nun mal einen Hauch verrückt. Wir sind von diesem Sport infiziert, weil wir ihn anders kennen und aus einer anderen Generation kommen. Es ist aber nicht mehr so wie früher. Früher hat man gespielt und war danach bis fünf Uhr morgens im Klubhaus. Wenn ich heute auf unserer Weihnachtsfeier bin, ist das für mich abstrakt und fremd. Da kommen Jungs mit zwei Mützen auf dem Kopf herein. Da bin ich im falschen Film.



Abendblatt:

Verliert der Amateurfußball neben Zuschauern auch mittelfristig Spieler?

Krausz:

Na logisch. Das werden sowieso immer weniger.



Abendblatt:

Wo steht der Amateurfußball in fünf Jahren?

Lotz:

Es ist rückläufig. Es wird an den Personen hängen, die noch richtig ticken wie wir. Die engagiert sind, die noch das Gute sehen.



Abendblatt:

Führt das nicht zwangsläufig zu Fusionen, zu einer Zusammenkunft der noch verbliebenen Gleichgesinnten?

Lotz:

Ich denke schon, gerade bei der Dichte der Klubs in Hamburg. Das erleichtert dann ja auch den Verwaltungsapparat.