SC Victoria fordert im DFB-Pokal am Sonntag Hannover 96 heraus. Spielmacher Benny Hoose wollte dort einst Profi werden. Das Duell gegen die Profis ist bereits das fünfte DFB-Pokalspiel seit 2007.

Hamburg. Benny Hoose, 24, ist mit dem Fahrrad zum Stadion Hoheluft gekommen. Der Lenker und Denker im Mittelfeld des SC Victoria steigt ab, flachst mit Stadionsprecher Peter Kraft und Platzwart Werner Kaminski und entert mit flotten Schritten die altehrwürdige Tribüne. „Ich muss nachher wieder zur Uni“, sagt Hoose. Er schaut auf den Rasen. Am Sonntag um 14.30 Uhr wird er hier auflaufen. In der ersten Runde des DFB-Pokals fordert der Hamburger Regionalligaclub SC Victoria im Nord-Derby die Bundesligaprofis von Hannover 96. Das Spiel ist mit 5200 Zuschauern seit Wochen ausverkauft. Auf „maximal vier Prozent“ beziffert Victorias Trainer Lutz Göttling die Siegchance des Außenseiters. Wäre die Geschichte des Benny Hoose etwas anders verlaufen, stünde er nach Göttlings Rechnung am Sonntag zu 96 Prozent im mutmaßlichen Siegerteam. Im Trikot des Favoriten aus Hannover.

„Ich bin 2009 für zwei Jahre zu Hannover II in die Regionalliga Nord gegangen, um mir meinen Profitraum zu erfüllen“, berichtet Hoose. Er hatte alle Jugendmannschaften von Altona 93 durchlaufen, spielte zwei Jahre in der Ligamannschaft, das letzte davon in der Regionalliga Nord. „Ich wollte sehen, ob es reicht für eine Profikarriere“, blickt Hoose zurück. Es reichte nicht. 761 Spielminuten in 16 Partien, dazu ein Tor und eine Vorlage, lautet seine Bilanz in zwei Spielzeiten in Hannover. Viel lief gegen ihn. Verletzungen in beiden Knien, Trainerwechsel und ein Disput mit dem ehemaligen St.-Pauli-Trainer Andreas Bergmann im Winter 2010 setzen ihm zu. Am meisten habe ihm der Zuspruch gefehlt, sagt Hoose. „Das Menschliche blieb auf der Strecke.“

Nun führt ausgerechnet der DFB-Pokal Hoose und Hannover 96 wieder zusammen. Mit ihm, Stürmer Conrad Azong, 20, und Mittelfeldspieler Vincent Boock, 20, stehen drei ehemalige Hannoveraner in Victorias Kader. Finanziell dürften Hamburgs Amateurpokalsieger unter dem Strich 100.000 Euro übrig bleiben. Die geschätzte Bruttoeinnahme von 80.000 Euro aus den Zuschauereinnahmen wird weitgehend durch die Steuern, die Beteiligung von Hannover 96 und die Forderungen des Fernsehsenders Sky zur Umrüstung des Stadions aufgezehrt. Für die Installation von Kameras mussten sogar zwei zwölf Meter hohe Flutlichtmasten entfernt werden. So bleiben dem Gastgeber allein das Fernsehgeld und Werbeeinnahmen in einer Gesamthöhe von 100.000 Euro. Diese Summe will Manager Ronald Lotz „in den nächsten Etat einstellen oder zurücklegen“.

Der SC Victoria ist ein Stammgast auf der großen Fußballbühne. Das Duell gegen die Profis aus Hannover ist bereits das fünfte DFB-Pokalspiel seit 2007 – 0:6 gegen Nürnberg, 1:0-Sensationssieg gegen Rot-Weiß Oberhausen (2010), 1:3 gegen den VfL Wolfsburg, vor einem Jahr 1:2 gegen den SC Freiburg. „Wir sind uns der finanziellen Dimension der Partie bewusst“, sagt Benny Hoose. „Aber mich interessiert mehr dieses Spiel.“ Ohne Revanchegelüste.

Trotz aller Disharmonie sei der Lebensabschnitt bei Hannover 96 eine wertvolle Erfahrung gewesen. „Ich hatte nur Fußball im Kopf. Als ich dann nicht spielte, dachte ich: In so einem Tag muss mehr drinstecken als nur Fußball“, erzählt Hoose. Er begann zu lesen, zu zeichnen und zu malen. Nach dem Ende des Kapitels Hannover 96 gab er den Traum vom Fußballprofi auf, begann in Hamburg sein Studium der Fächer Englisch und Sport auf Lehramt.

Sportlich fand Benny Hoose die Freude am Kicken beim SC Victoria wieder. Schon in der Saison 2011/12 steuerte er 17 Treffer und 16 Vorlagen zum Regionalligaaufstieg bei und wurde Hamburgs Amateurfußballer des Jahres. Seine Bilanz fällt selbstkritisch aus. „Ich war mental nicht robust genug und einfach nicht bereit für das Profidasein“, sagt er heute. „Aber ich habe mich in einer fremden Stadt selbst kennengelernt und bin jetzt glücklich wie nie.“

Und für den SC Victoria extrem wertvoll. „Fußballerisch ist er der Beste, den wir haben“, sagt Angreifer Azong über den Mann mit der Nummer 10. „Er ist ein Philosoph, hinterfragt viel, denkt beinahe schon wie ein Trainer, fast wie früher Roger Stilz“, sagt Manager Lotz. Auch deshalb verzichtet der Verein ohne Murren von Mitte August bis Mitte Oktober auf Hoose. Dann kümmert er sich in Ghana um Waisenkinder. Es gibt auf der Welt Wichtigeres als Fußball.

Nur nicht diesen Sonntag. Da dreht sich für Benny Hoose und Victoria alles um das Spiel gegen Hannover 96.