Einsatz für die Backkunst: Für den besten Christstollen tauscht der Bäckermeister die Konditormütze gegen den Helm.

Es ist kalt, und es tropft von der Decke. Schwarzer Stein glänzt nass im Schein der Lampen an der Wand und an der Decke - tief unten im Sauerland, im alten Zugangsschacht. Bäckermeister Liese fährt ein. Was, Herr Liese, machen Sie hier in dem alten Stollen? "Stollen!" Die Lore rumpelt los, hinein in den Bauch der Berge, an Bord zwei Zentner frische, feine Konditorware. "Christstollen soll bei der Reifung kühl und dunkel gelagert werden", sagt Jörg Liese, Bäcker- und Konditormeister aus Bestwig-Ostwig.

"Christstollen muss vier Wochen reifen, bis der Geschmack sich voll entwickelt hat. Und wo findet man einen Ort mit gleichbleibender Luftfeuchtigkeit und niedriger Temperatur, der zudem auch ständig dunkel ist?" Eben! Hier im alten Bergwerk. Jörg Liese ist Sauerländer und weiß, dass dieses Mittelgebirge kreuz und quer durchlöchert ist. Und er fährt mit seinen Christstollen nicht zum ersten Mal in den Berg. "Vor acht Jahren kam ich auf die Idee mit dem alten Schieferstollen. Damals wurde hier schon lange nicht mehr gearbeitet, aber die ganze Infrastruktur war noch betriebsfähig. Da kann man doch was machen!"

Also fragte Liese nach, ob er nicht versuchshalber ein paar Christstollen unter die Erde bringen könnte. Durfte er. Die Geschichte lief gut an, und "dann hab ich einen Teil des alten Schieferstollen gemietet. Jetzt reifen hier pro Jahr im Herbst gute 1200 Kilogramm Christstollen." Der Meister hat längst Konditormütze gegen Helm getauscht und geht hinter der Lore her. Hinab in eine schaurige, kuriose Unterwelt, die eines ganz gewiss nicht hat - eine Gemeinsamkeit mit irgendeiner Vorstellung von heimeligem Advent. Aber wer denkt schon daran, wenn es so gut schmeckt im schmucken Café von "Lieses Backhaus" in Bestwig. Wo die Leute des Meisters Köstlichkeiten, auch den Stollen aus dem Stollen, pfundweise einpacken oder bei Kerzenschein und Kaffeeduft eine seiner neuesten Stollen-Kreationen genießen.
Gut 200 Christstollen bringt er pro Fuhre nach unten, stapelt die Kisten von der Lore auf einen Rollwagen, wuchtet das Gefährt über schiefe Schienen in eine Halle. Im Schein der Taschenlampen tauchen Zeugen der Industriegeschichte auf; der alte Führerstand, die Arbeitskleidung der Arbeiter, sogar ein Telefon steht noch auf dem Tisch - so unberührt und sauber, als ginge es gleich wieder los.

Liese öffnet eine Kiste, darin liegen fertig gereifte Stollen. Ein dezenter Duft nach Vanille und Zimt, der vor dieser bizarren Kulisse so fremd wirkt wie nur irgendwas. Der Gedanke an die gediegene Gemütlichkeit des Cafés, wohin die Stollen nun kommen - absurd.
Oben in der Backstube kreiert der Konditor 20 Sorten Christstollen - manche mit echtem Champagner, manche mit echtem Übersee-Rum, manche mit echter Bourbon-Vanille. Kompromisse macht Jörg Liese nicht. Der Aufstieg aus dem "Felizitas-Stollen" bei Bad Fredeburg geht in die Beine. Unten ist es längst zappenduster, ein kalter Hauch weht durch den Stollen. Jörg Liese erzählt von der "Weihnachtsinsel". Von diesem runden Stollen, den er sich mal ausgedacht hat. Den mit den Südseefrüchten, den mit Mango und Papaya, "fruchtig, sonnenverwöhnt - wie ein Stück Sonne an kalten und ungemütlichen Tagen", sagt Jörg Liese.
Krachend fällt eine Tür ins Schloss, eine Tür, die zu einem finsteren, kalten Stollen führt. Ob sie ihm da unten kommen, seine kreativen Ideen? Dem Konditormeister und mehrfachen Stollenpreisträger Jörg Liese aus dem Sauerland, ihm, der sich selbst "Deutschlands verrücktesten Stollenbäcker" nennt. Da unten, da glaubt man's ihm.