Deutschland und Vietnam: Reise-Experte Vu Minh Anh betreut deutsche Politiker und Touristen in seiner Geburtsstadt Saigon.

Schmuddelwetter an den Landungsbrücken. Ein junger Mann, schlägt fröstelnd den Mantelkragen hoch und erinnert sich an einen Morgen vor 26 Jahren. "Es nieselte damals, am 5. September 1986, genauso wie heute. Aber uns kam es keineswegs trist vor. Für mich und meine kleine Schwester begann an jenem Tag unser zweites Leben."

Vu Minh Anh, erfolg- und ideenreicher Reise-Fachmann aus Saigon, der erst kürzlich Angela Merkels Besuch im Süden Vietnams bis ins Detail logistisch vorbereitet hat und noch vergangene Woche mit Phillip Rösler und seiner hochkarätigen Wirtschaftsdelegation über den Dächern von Saigon gefrühstückt hat, schaut nachdenklich auf das Gewimmel von Barkassen und Booten. Sein Smartphone klingelt, aber der sonst so optimistische und fröhliche Vu Minh Anh reagiert nicht. Er wirkt auf einmal, als könne er kaum glauben, welche Zufälle ihn, den damals Elfjährigen, von Hamburg aus über eine Kleinstadt im Hunsrück, über die Universität von Marburg, über Weltstädte wie Wien und Toronto zurück nach Vietnam geführt haben.

In Vu Minh Anhs Geburtsjahr 1975 endete der Vietnamkrieg mit dem Sieg der Kommunisten aus dem Norden. Danach begann vor allem für katholische Südvietnamesen, die Anhänger des Diem-Regimes gewesen waren und damit auf der falschen Seite gestanden hatten, eine schwere Zeit. Tausende wanderten in Umerziehungslager oder flohen. Auch Vu Minh Anhs Eltern, Unternehmer aus dem gehobenen Mittelstand, versuchten in dieser Zeit mehrmals, sich der neuen Herrschaft zu entziehen. Immer wieder wurden sie gefasst, ins Gefängnis gesteckt, für mehrere Tage auch Vu Minh Anh und seine jüngere Schwester. Erst 1986 schickten die Eltern die beiden mit einem überfüllten Boot auf das Südchinesische Meer, in die Ungewissheit. Die Kinder hatten Glück: Nach drei Tagen nahm die "Cap Anamur II" die völlig erschöpften Boatpeople auf. Drei Monate später, nach diplomatischem Gezerre, erlaubten die deutschen Behörden den Landgang in Hamburg.

Vu Minh Anh wurde von einer deutschen Familie aus dem Hunsrück adoptiert, kam in der Kleinstadt Simmern in die Grundschule, ohne ein einziges Wort Deutsch zu kennen. Er ekelte sich vor Käse und Fisch, er mochte keine Kartoffeln, aber er probierte fast alles. Und er machte seinen Weg: Abitur, Studium der Politik und der Volkswirtschaft in Marburg, Praktika in Wien, spannende Jobs in Kanada und bei internationalen Institutionen. Irgendwann galt er bei Freunden als Feinschmecker, als Wein- und Käsekenner. In Vietnam sehnt er sich nach Bratkartoffeln, hier vermisst er Pho, die klassische Nudelsuppe Vietnams.

Viele Jahre nach seiner Flucht halfen ihm seine Pflegeeltern, Vater und Mutter aus Saigon nach Deutschland nachzuholen. Heute pendelt Vu Minh Anh oft zwischen den beiden Heimatländern. Er hat in Saigon eine Familie gegründet und feilt am Ausbau seines Unternehmens, das er 2005 in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem alten Saigon, gegründet hat. Hinter "TerraVerde, Reisen mit allen Sinnen" steckt die Idee von authentischem, ökologisch ausgerichtetem Tourismus. Der 37-Jährige bereitet die Begegnung seiner Gäste mit Land und Leuten behutsam vor: "Wir wollen neugierig bleiben, aber nirgendwo eindringen."

Die deutsche Botschaft in Hanoi und das Goethe-Institut wurden auf ihn aufmerksam. Er half Fernsehsendern bei aufwendigen Dokumentationen und bereiste mit Unternehmern und Touristen jene Regionen des Mekong-Deltas, die nicht von großen Gruppen überlaufen sind - "und das auch so schnell nicht werden".