“Wer dieses Dorf nicht besucht, hat Mallorca nicht gesehen“, schrieb Petra Roßbach, die der Insel bereits zahlreiche Bücher und TV-Beiträge gewidmet hat. Warum sie recht hat, erfahren Sie hier.

Wie ein Stilleben, wie ein gemaltes Gesamtkunstwerk ruht die kleine Stadt auf einem Bergsattel in der Sierra del Norte. Schmale Häuser und giebelige Türme stehen in verschiedenen Höhen auf Steinterrassen am Berg. Besonders schön ist es hier im späten Frühjahr: Wenn die Obstgärten wie Fackeln zwischen den flachen Dächern leuchten, ist es, als stünde die ganze Stadt in Flammen. In allen Gärten hängen dann dralle Früche an den Bäumen: Feigen, Brombeeren, Orangen, Zitronen so weit das Auge reicht.

Ein Stück bergauf krallen sich knorrige, Jahrhunderte alte Olivenbäume in den Fels und blicken als unsterbliche Wächter auf die Stadt. (Ihre "Unsterblichkeit" verdanken sie allerdings vor allem EU, die das mallorquinische Olivenöl subventioniert, und damit die Bäume am Leben erhält. Ohne EU wären die unsterblichen Wächter wohl längst als Brennholz in den Winterkaminen der Valldemosaner verfeuert worden.)


Klingt romantisch, aber in Wirklichkeit waren die 98 Tage, die das Pärchen auf Mallorca weilte, durchaus harte Zeiten: Sand war starke Raucherin, lief ständig in Männerkleidung umher und verteidigte zuweilen recht forsch die Rechte der Frau. Der schwindsüchtige Chopin hinterließ indes eine Spur brennender Betten in der kleinen Stadt, denn damals war es üblich, das eventuell ansteckende Lager eines Tuberosekranken einzuäschern. Mit derartigen Attributen behängt fiel es dem Künsterpärchen natürlich schwer, mit den Mallorquinern Freundschaft zu schließen: Sie wurden gemieden, geschnitten, verspotten und beschimpft und sie litten darunter, sehr sogar. Andererseits beflügelte die geharnischte Umgebung auch die Kreativität von Sand und Chopin. Die kargen Mauern des Kartäuserklosters und der überwältigende Fensterblick auf Berge und Täler wirkten anscheinend wie eine nicht versiegende Quelle der Inspiration auf das Künstlerpärchen ein: Chopin komponierte in jenem Winter unter anderem seine vielzitierte "Regentropfen-Prelude" übrigens auf einem Pleyel-Klavier, das er sich extra aus Frankreich kommen ließ. Sand schrieb indes in der Klosterzelle ihren Roman "Ein Winter auf Mallorca", der die Insel berühmt und Valldemosa unsterblich machen sollte. Gleichzeitig rechnet Sand darin mit ihrer Umgebung ab: "Wenn man sich noch so dagegen wehrt", heißt es in dem Buch, "diese unheimlichen Gebäude, die einem noch unheimlicheren Kult gewidmet sind, regen die Phantasie an."

Die Reliquien von Sands und Chopins produktivem Winter in Valldemosa können heute im Kloster besichtigt werden: Die Kartause verwahrt unter anderem Porträts der beiden Künstler und einige handgeschriebene Partituren von Chopin. In einer Ecke steht auch noch Chopins Pleyel-Klavier, auf dem er bis zu seinem Tode spielte.

Besonders lohnenswert ist ein Besuch der Kartause im Juli oder im August. Dann finden hier im Rahmen des Chopin-Festivals sensationelle Konzerte statt. Unzählige berühmte Pianisten, unter ihnen der Chopin-Pianist Luc Devos, haben die Kartause schon mit magischen Klängen gefüllt meistens natürlich mit Chopins Musik. Bei den Konzerten in der engen Klosterzelle sitzen Zuschauer und Künstler ganz nah beieinander. Manche lauschen den Darbietungen auch von draußen aus dem Garten. Auch in der Stadt selbst gibt es viel zu entdecken: zum Beispiel das von Michael Douglas gegründete Kulturzentrum "Costa Nord", das einen Einblick in das bewegte Leben des Erzherzogs Ludwig Salvator und einen Überblick über den Nordwesten Mallorcas gibt. Auch ein Spaziergang durch die Unterstadt lohnt sich: Zwischen Blumen und Azulejos (die die Lebensgeschichte der heiligen Catalina erzählen) läßt es sich wunderbar zur gotischen Pfarrkirsche Sant Bartomeu hinüberschlendern.

Dabei kann es passieren, daß man plötzlich wieder Chopin hört. Ist das ein Radio? Ein nachträglicher Tinnitus vielleicht? Weder noch. Es ist die lokale Folklore-Band "Es Valldemosa", die da aufspielt. Die intoniert manchmal Chopin-Stücke auf der Flöte. Zwar hat die Band inzwischen international Erfolg, in ihrem Heimatstädtchen spielt sie jedoch oft und gerne und zwar meistens draußen und umsonst.

Es ist inzwischen abend in Valldemosa. Tief senkt sich die Sonne über der Sierra del Norte . Ein abfallender Wind trägt die Musik von Es Valldemosa bis ins Tal. Wie Bergadler irren die Melodien durch die Schluchten und Täler der Tramuntana. Und irgendwie ist es, als lebe Chopin noch immer dort oben im hell erleuchteten Kloster, als hustete er sich gerade schwermutmatt in den Schlaf.