Seit den 20er-Jahren umgibt Deià der Nimbus von ungezähmter Leidenschaft und künstlerischer Dekadenz. Für viele, die hier wohnen, und für viele, die hier vorbeikommen, hat die 800-Seelen-Gemeinde die Leuchtkraft von Verona, Florenz und Venedig zusammen.

Auf einem Hügel unter dem Gipfel des Teix, zwischen Olivenbaumterrassen und Zitronenhainen, am Rande der steilen Westküste liegt Deià, Mallorcas berühmtes und selbstverliebtes Künstlerdorf. Wir beginnen unseren Stadtbesuch in der Unterstadt, rund um die Carrer Clot: Weiße und sandfarbene Häuser mit runden Torbögen und palmenbetupfte Steintreppen bestimmen hier die optische Kulisse. In den engen, verzweigten Gassen stauen sich die Hitze des langen, mallorquinischen Sommers und der frische Duft von Zitronen und gelben Rosen. Alle Gebäude, Terrassen und Treppenfluchten streben hügelwärts hinauf zur kleinen, vom Friedhof eingefaßten Pfarrkirche.

Gehen wir einmal dort hinauf! Schnaufend nehmen wir die ausgetretenen Stiegen, erst durch die Oberstadt, dann am Hügel entlang, über einen Pfad, der sich am Bergrücken entlangkräuselt wie eine blumengeschmückte Girlande. Wer hoch auf dem Berg bei der Kirche steht, überblickt das ganze Städtchen und er kann auch das Meer wieder sehen, tief unten in der Kiesbucht Cala de Deià. Bei auflandigem Wind kann man das tosende Meer zwischen Sant Elm und Sóller sogar hören.



Und damit war er nicht allein: Viele seiner Künstlerkollegen sind ebenfalls auf die ein oder andere Weise mit dem Städtchen verbunden: Gertrude Stein, Ava Gardner, Kingsley Amis, Anthony Burgess, Gustave Dore, Paul Theroux, Anaïs Nin, Andrew Lloyd Webber, Pierce Brosnan sie alle haben hier gelebt, gearbeitet, geliebt und gestritten (und tun es zum Teil noch immer). Nicht aus Deià wegzudenken ist zudem Michael Douglas, der stolze Besitzer des Herrenhauses "S’Estaca".

Diese wahre Schwemme von Malern und Landschaftsfotografen, von Modedesignern und Schaustellern, von Musikern und Koloratursängerinnen blieb für das kleine Städtchen natürlich nicht ohne Folgen. Frank Sinatra hat einmal gesagt, ein Mensch verändere einen Raum schon allein dadurch, daß er ihn betrete. Nach einem Rundgang durch Deià mag man ihm zustimmen: Graves und seine Künstlerkollegen haben das friedvolle Bergdorf mit ihrem anekdotenreichen Lebenswandel nachhaltig geprägt. Charmante Geschichten und Halbwahrheiten um die Biographien der verschrobenen Bohème lauern in Deià an jeder Ecke:

Da gibt es zum Beispiel die Anekdote über Santiago Rusiñol, der jeden Tag mit seinen Künstlerfreunden am Kiesstrand von Deià saß und die Sonnenuntergänge über der Serra Tramuntana mit Beifall und Bravorufen feierte sehr zur Befremdung der Einwohner. Da gibt es die düstere Legende um Anthony Burgess, der samt seiner Frau von amerikanischen Anhängern des Voodookultes den Abhang zu einer Müllgrube hinuntergeworfen wurde, weil seine Gattin Liane dem Voodoo-Priester eine mit Stecknadeln gespickte Puppe stibitzt und ins Feuer geworfen hatte. Und es gibt noch viele andere Geschichten, die sich der aufgeschlossene Besucher in den Bars und Pastelarias erzählen lassen kann.


Doch nicht nur mit ihren Spleens hat die Kunstszene Deià verändert: Denn wie sooft gesellte sich zum Glanz der lebhaften Bohème bald auch die Gloria. Und die kam immer öfter aus der Fremde nach Mallorca. Heute sind mehr als die Hälfte der gemeldeten Einwohner Deiàs reiche Briten, Deutsche oder Skandinavier, Kosmopoliten die sich im Norden Mallorcas ein Urlaubsdomizil zulegten. Der überwiegende Rest sind wohlhabende Mallorquiner: Fincabesitzer, Top-Hoteliers und Gourmet-Köche.

Die Infrastruktur Deiàs läßt folglich keine Luxuswünsche offen. Herausragende Hotels sind die Edelfinca Vista Mar , in der Schauspieler und Operndiven für 400 Euro pro Nacht über dem Natursteindorf Lluc Alcari residieren sowie die Nobelhotels Es Moli und La Residencia . In Gourmet-Restaurants wie dem Sebastian und dem Bens d'Avall tummeln sich derweil Größen aus Wirtschaft und Politik mitunter sogar Spaniens gekrönte Häupter.

Nachmittags begegnet man den Celebrities meist beim Kunst-Shopping im Dorf. Kunstkenner und Sammler tun es ihnen gleich und begutachten die vielfältigen Erzeugnisse der noch immer florierenden Kunstszene Deiàs, die in zahllosen Galerien, Läden und Lokalen neben- und übereinander an den Wänden hängen. Wichtigste Vermarktungsadressen für die Produkte des lokalen Schaffens ist sicherlich die Galerie Deià eine kombinierte Modeund Kunstboutique. Literatur-Fans durchsuchen den Alternativladen Arxiduc Lluis Salvator nach wichtigen und seltenen Werken oder die Backstube mitten im Ort, wo es neben Brötchen auch Bücher zu kaufen gibt die Werke von Robert Graves natürlich auch.