Die “Route des Vins“ in Südfrankreich bietet Genuss für Gaumen und Auge. In den beschaulichen Orten sind die Temperaturen jetzt noch zweistellig.

Südfrankreich. Rien ne va plus in der herbstlichen Provence. Das Auto steckt fest - nichts geht mehr, weder nach vorne noch zur Seite. Die Bewohner des Dorfes, die neugierig aus ihren Fenstern lugen und gut gemeinte Ratschläge erteilen, sind nicht wirklich hilfreich. Ausgerechnet auf einer der schönsten Straßen Frankreichs, der "Route des Vins", kommen wir nicht mehr weiter - eingekeilt und festgefahren in den Gassen von Esparron. Rauch vermischt sich mit dem Geruch nach heißem Gummi. Mit angezogener Handbremse setzen wir schließlich zurück - bei 15 Grad Steigung wahrlich keine leichte Übung.

Enge Gassen in alten Dörfern können einen als Autofahrer verzweifeln lassen, aber natürlich machen sie auch einen Teil des Reizes dieser Gegend aus. Vieles wirkt wie aus der Zeit gefallen, gerade als Großstädter weiß man die heimelige Atmosphäre zu schätzen. Und wenn dann noch ein sonniger Spätherbst und eine große Portion Genuss hinzukommen, kann eigentlich doch nicht so viel schiefgehen auf dieser Reise durch Südfrankreich.

Wir setzen unseren Weg auf der Weinstraße fort und steuern das Chateau Pigoudet in Rians an, ein kleines, von Deutschen betriebenes Weingut, das sich auf in Barrique gereifte Weißweine spezialisiert hat. An der "Route des Vins", die in Aix-en-Provence beginnt, liegen etwa 30 Weingüter, die Urlauber zu Degustationen einladen. Eine Spezialität der Region ist der Rosé. Ein Wein, der laut dem britischen Autor Peter Mayle "einige der schönsten Augenblicke des Lebens begleitet".

Vier Wochen haben wir uns als Familie Zeit genommen für die schönsten Dörfer des Lubéron wie Lacoste, Ménerbes und Lourmarin; für Märkte, lauschige Bistros und prächtige Schlösser, den Papstpalast in Avignon, die Fischer am Hafen von Marseille, die felsigen Strände rund um Cassis. Ausgangspunkt unserer Ausflüge ist die Stadt, in die angeblich 70 Prozent der Franzosen möchten: Aix-en-Provence im Département Bouche du Rhone.

Im Quartier Fontifiguière, zehn Autominuten vom Stadtzentrum entfernt, liegt unser Ferienhaus mit Pool, Garten und Terrasse. Unsere Vermieter, Jean und Odette Bessiere, warten schon auf uns. Die Atmosphäre ist leger: Jean, um die 70, braun gebrannt, begrüßt uns im feinsten Provenzalisch und mit freiem Oberkörper. Früher Lkw-Fahrer, hält es der Rentner mittlerweile mit Voltaires Romanhelden Candide: Glückseligkeit erfährt Jean, indem er seinen Garten bestellt. Als Willkommensgeschenk stehen frisch geerntete Tomaten auf unserem Terrassentisch. Es sind die saftigsten, die wir je gegessen haben - der Anfang einer wunderbaren Nachbarschaft: Fast täglich werden wir fortan mit Feigen, Auberginen, Salat und verschiedenen Tomatensorten bedacht. Odette versorgt uns zudem mit Restaurant-Tipps und der täglichen Wettervorhersage - im Schnitt ist es zehn Grad wärmer als in Hamburg, es sei denn, der gefürchtete Mistral-Wind fegt mal wieder übers Land.

Wir sind von der bodenständigen Herzlichkeit der Provenzalen angenehm überrascht. Und wo könnte man die besser erleben als an einem Markttag in Aix-en-Provence? Der Duft von gegrillten Hähnchen liegt in der Luft, über die Stände hinweg werden Käse, Gewürze und Pasteten gereicht, Rezepte ausgetauscht, Tipps gegeben. Es wird gelacht, Kaffee im Stehen getrunken, schnell noch ein Baguette bei "Paul" gekauft. Gegen Mittag ist der ganze Zauber vorbei, während der Siesta spielt sich das "süße Leben" nur noch in den Bars und Restaurants ab, bei Wein und Plat du Jour, wie etwa im Chez Maxime am Place Ramus oder in einem der vielen anderen gemütlichen Bistros. Frisch gestärkt starten wir zu einem Einkaufsbummel durch die kleinen Altstadtgassen und über die Prachtstraße Cours Mirabeau mit ihrem wunderschönen Brunnen.

Aix-en-Provence mit seinen 140 000 Einwohnern bietet alles, von französischen Designern über internationale Marken bis zu schönen Boutiquen für Kindermode. In einigen der Straßencafés, etwa dem Les Deux Garçons, versackte auch schon der hier geborene Maler Paul Cézanne mit seinen Künstlerfreunden. Im nicht weit entfernten Musée Granet an der Place Saint Jean de Malte sind ein paar seiner Werke zu sehen - die berühmtesten Bilder hängen allerdings in den großen Museen und Galerien von New York bis Paris.

Eines seiner bekanntesten Motive können Reisende aber jeden Tag bewundern: den Montagne Sainte-Victoire. Der gut 1000 Meter hohe "Hausberg", nur wenige Kilometer östlich von Aix, wurde von Cézanne immer wieder aus einer anderen Perspektive gemalt - schließlich lag sein Atelier direkt gegenüber. Je nach Lichteinfall ändert der Berg seine Farbe - "wie Feuer", hat es der Maler einst beschrieben.

Wer glaubt, Südfrankreich besteht nur aus lieblichen Weinfeldern, Lavendel und Trüffelwäldern, der irrt. Die Region überrascht mit einer vielfältigen Natur. Von der Mittelmeerstadt Cassis aus sind die Calanques zu entdecken: riesige, ins Wasser ragende Felsbuchten. Den besten Blick hat man von einem der kleineren Ausflugsboote, die im Hafen ablegen. Auf der "Route des Crêtes" jagt ein Aussichtspunkt den nächsten, der Blick auf das Meer ist atemberaubend schön.

Am beeindruckendsten ist die Schlucht von Verdon im östlichsten Teil der Provence. Vom Ort La Palud aus schrauben sich Autos und Radfahrer die 23 Kilometer lange Serpentinenstraße bis zu 1400 Meter hoch, immer nahe am Abgrund des "Schlunds". Die schroffen Kalksteinwände des französischen "Grand Canyons" schimmern gelblich in der Sonne, in der Tiefe schlängelt sich der Verdon-Fluss jadegrün durchs Tal. Über den Köpfen ziehen Gänsegeier ihre Runden.

Selbst vier Wochen reichen kaum, um alles zu sehen, was es hier zu sehen gibt, etwa die sanfte Hügellandschaft um Aubagne oder den sehenswerten Bambusgarten von Anduze mit seinen bis zu 30 Meter hohen Gewächsen. Er gehört streng genommen nicht mehr zur Provence, sondern zum Languedoc-Roussillon.

Aber auch diese Grenzüberschreitung lohnt sich - wenn sie nicht wieder irgendwo in einer Sackgasse endet.