Im Elsass, dem nordöstlichen Zipfel Frankreichs, dreht sich fast alles um die Tropfen des vergorenen Traubensaftes - speziell zum Ende der Lesezeit.

Es ist jedes Mal der gleiche Effekt - kaum hat man die Grenze nach Frankreich überquert, wird der Verkehr auf der Autobahn weniger, und alle fahren deutlich entspannter. Die beste Einstimmung auf das gemächliche Leben im Elsass. Da passt es ins Bild, dass Pascale Kugler gleich nach unserer Ankunft im Ferienhaus eine Hängematte zwischen den Birken an der Terrasse aufhängt. Auf dem Tisch steht zur Begrüßung der traditionelle Kougelhopf, ein Hefekuchen mit Mandeln und Rosinen, und im Kühlschrank findet sich eine Flasche Vin d'Alsace. Ein Empfang, der genauso nett ist wie das Interieur des Hauses, das Pascale, eigentlich Innenarchitektin, vor zwei Jahren neu gestaltet hat - zu einer perfekten Unterkunft für bis zu zehn Personen, ideal für zwei Familien mit Kindern.

Das goldene Oktoberwetter, das sogar noch erlaubt, die Mahlzeiten im Freien einzunehmen, ist ideal für einen Urlaub im Elsass. Und so schön das Ferienhaus in Aubure, dem mit 813 Metern höchst gelegenen Dorf im Elsass auch ist, der kleine Luftkurort am östlichen Ausläufer der Vogesen hat schon lebendigere Zeiten erlebt. Bis in die 1920er-Jahre gab es hier noch mehrere Restaurants, Hotels und wegen der Höhenluft eine Reihe von Sanatorien. Heute gibt es nur noch ein kleines Restaurant, und das hat sich bereits in den Jahresurlaub verabschiedet. Aber wir wollen ohnehin die Region erkunden.

Touristentrubel muss man in der kleinsten Region Frankreichs nur an wenigen Orten befürchten. Etwa 1,8 Millionen Menschen leben im dünn besiedelten Elsass, das sich in zwei Teile gliedert: Haut-Rhin und Bas-Rhin. Das bergige Oberelsass (Haut-Rhin) liegt im Süden, das niedrigere Unterelsass (Bas-Rhin) im Norden. Oben und unten gewinnt aber erst dann eine Bedeutung, wenn man mit den Wanderstiefeln loszieht.

Wandern, Wein und Wohlsein, so könnte man die Zutaten für einen gelungenen Urlaub im Elsass umschreiben. Wobei der Wein wohl die bekannteste Komponente ist. Sylvaner, Pinot Blanc, Riesling, Muscat, Pinot Gris, Pinot Noir und Gewürztraminer sind die typischen Elsässer Rebsorten. Etwa 1000 Winzer gibt es in der Region. Westlich von Straßburg bei Marlenheim beginnt die "Route des Vins d'Alsace" (Elsässer Weinstraße), und sie führt über Colmar etwa 170 Kilometer nach Süden. Hänge mit Rebstöcken reichen bis in die pittoresken Orte hinein: Saint Hippolyte, Kintzheim, Bergheim, Ribeauvillé, Kayserberg.

Besonders zauberhaft ist Riquewihr, das sich selbst als "Perle der Weinstraße" bezeichnet. Die meisten Häuser stammen aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Durch den Dolder, einen eindrucksvollen Turm mit Tor und Fallgitter aus dem Jahr 1291, betritt man das Städtchen, das weitgehend autofrei ist. Weitgehend, denn als wir uns gerade in einem Weinkeller erklären lassen, wie der zart aprikotfarbene Crémant Pinot Noir zu seiner außergewöhnlichen Farbe kommt (von den roten Trauben), tönt von der kopfsteingepflasterten Straße ein lautes Hupkonzert. "Ein Weinbauer feiert gerade das Ende der Weinlese", erklärt die Dame hinter dem Tresen.

Ganz offenkundig haben die Elsässer nicht nur ein Händchen für den Weinbau, sondern auch für Blumenschmuck. Geranien hängen in wilden Farbmischungen aus Rot und Pink zwischen den Fensterläden, dazu sind alle öffentlichen Flächen prächtig bepflanzt. Ebenfalls unverkennbar ist ihre Liebe zu Springbrunnen. In Kaysersberg, wo ein kleines Museum in seinem Geburtshaus an den Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer, den berühmtesten Sohn der Stadt, erinnert, sprudelt etwa die "Fontaine Constantin" seit 1521 aus vier Speiern - so besagt es das kleine Schild am Brunnen.

Aber manchmal sprudelt nicht nur Wasser. Im benachbarten Ribeauvillé wird alljährlich am ersten Septembersonntag der "Pfifferdaj" (Pfeifertag) gefeiert, der auf das 14. Jahrhundert zurückgeht. Das Städtchen gehörte im Mittelalter zum Besitz des Grafen von Rappoltstein, dem die fahrenden Spielleute und Gaukler am Oberrhein unterstellt waren. Beim Pfeifertag feierten sie ihren König. An diesem Festtag fließt aus dem Dorfbrunnen kein Wasser, sondern Elsässer Wein.

Doch es geht auch etwas gepflegter. Dégustation e vente heißt es bei allen Winzern, die ihre Keller für Weinproben und Weinverkauf öffnen. Es ist einfach verlockend, direkt beim Weinbauern dessen Produkte zu verkosten und bei Gefallen auch zu kaufen.

Viele Winzerhöfe schließen gegen 18 Uhr, aber bei Familie Halbeisen, die ihr Weingut an der Weinstraße in Bergheim bewirtschaftet, steht die Tür zum Keller noch offen. Nach einer mehrstündigen Wanderung durch die Ill-Auen haben wir Lust auf eine Dégustation. Eine junge Frau, die bei ihren Gästen fließend zwischen Deutsch, Französisch und Englisch wechselt, schenkt uns Cremant d'Alsace ein. Der Schaumwein, der nach Champagnerart produziert wird, ist typisch für das Elsass. Jeder Winzer keltert mehrere Sorten.

Nach dem Degustieren meldet sich der Hunger. Schon am Morgen war uns im Zentrum von Bergheim ein Restaurant mit einem gemütlichen Innenhof aufgefallen, der, wie sich nun herausstellt, zum Halbeisen-Hof gehört. In Bergheim ist die mittelalterliche Stadtmauer noch nahezu komplett erhalten, und als ein Pferdefuhrwerk durch den Ort fährt, fühlt man sich um Jahrhunderte zurückversetzt. Im La Cour de Bailli sitzen wir im blumengeschmückten Hof und essen "Flammekueche", hauchdünne Teigfladen mit Zwiebeln, Speck und Schmand.

Wer deftig isst, muss sich entsprechend bewegen. Und so starten wir am nächsten Tag erneut zu einer Wanderung. Über kilometerlange Serpentinen geht es mit dem Auto hinauf zum Lac Blanc im regionalen Naturpark Ballon des Vosges. In den See, der seinen Namen vom hellen Quarzsand auf dem Grund hat und gar nicht so weiß ist, wie der Name verheißt, wird seit 1933 nachts das Wasser aus dem benachbarten Lac Noir hochgepumpt, tagsüber erzeugt ein Pumpspeicherwerk Strom. Über einen felsigen steilen Weg, den man stellenweise nur unter Einsatz der Hände bewältigen kann, hangeln wir uns nach oben. Hier, auf einem Felsen am Südufer des Lac Blanc, soll einst das Schloss des Hans von Felsenstein gestanden haben. Der Sage nach wurde der Schlossherr wegen seiner Grausamkeit samt seinem Schloss von der Erde verschlungen. Das sind Geschichten, die Kinder lieben und die sie die Strapazen schnell vergessen lassen.

Mit uns ist das Schicksal gnädiger als mit dem Schlossherrn: Hinter der Felskuppe wird der Weg etwas gemütlicher, und ein Stück weiter, an der Quelle des Lac Blanc, erwartet uns ein Picknicktisch. Zeit für eine kleine Rast mit einem großartigen Blick auf den See. Beim Abstieg kommen wir an einem Skilift vorbei, der gerade für den kommenden Winter fit gemacht wird - in den Vogesen gibt es mehrere kleine Skigebiete. An Schnee ist im Moment noch nicht zu denken, aber das herbstliche Elsass darf man nicht verlassen, ohne eine Burg besichtigt zu haben. Pflichtprogramm ist die Burg Haut-Koenigsbourg - mit 600 000 Besuchern pro Jahr eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Frankreichs.

Majestätisch trutzt sie in fast 800 Metern Höhe und bietet einen Blick über die Rheinebene, die Vogesen und den Schwarzwald. Zwischen 1900 und 1908 wurde die Burg, die auf das 12. Jahrhundert zurückgeht, teilweise wieder aufgebaut und umfassend restauriert. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. hatte sich zum Ziel gesetzt, der teilweise zerstörten Festung ihren früheren Glanz wiederzugeben. Haut-Koenigsbourg sollte zum Symbol des Deutschtums im Elsass werden, das ab 1871 zum Deutschen Kaiserreich gehörte. Während der Bauzeit stattete der Kaiser der Baustelle jedes Jahr einen Besuch ab. Heute kommen Gäste aus aller Welt und bestaunen die bombastische Burg, die einst völlig autark war. Sogar so moderne Einrichtungen wie Plumpsklos neben den Gemächern gab es schon, davon zeugen die nach unten offenen Schächte an der Außenmauer. Zugig muss es in diesen Klos damals gewesen sein. Wie angenehm, dass die Besuchertoiletten den Standard des 21. Jahrhundert bieten - mit Wasserspülung und Händetrockner.

Und der Wein schmeckt bestimmt heutzutage auch besser als zu Kaisers Zeiten. Jedenfalls haben wir so erfolgreich degustiert und viele Tropfen für gut befunden, dass der Kofferraum zum Schluss voll beladen ist.