Meine letzte Klassenfahrt liegt über dreißig Jahre zurück. Wir fuhren damals mit dem Bus zur Loreley an den Rhein. Das habe ich gerade noch mit Mühe und Not in meinem Langzeitgedächtnis gefunden. Doch nun werde ich in diese Zeit zurückgebeamt. Die Busreise, die mir bevorsteht - sie ist ganz wie eine Klassenfahrt.

Pünktlich steht der Bus am Treffpunkt: Bremen Hauptbahnhof, Samstag um 15.30 Uhr. Mein Freund John hat zur Feier des Tages - es ist sein 40. Geburtstag - eine Männerrunde organisiert. Eine "Fahrt ins Blaue" mit dreißig hartgesottenen Freunden, die eine Gemeinsamkeit verbindet: Sie trinken seit der Grundschule Beck's Bier. Eine Leidenschaft, die sie mit zunehmendem Alter perfektioniert haben. Und so verstauen wir einen Kasten nach dem anderen im Bus. Eine Menge, bei der selbst Harald Juhnke zu seinen Glanzzeiten die weiße Fahne gehisst hätte. Jungfräulich bleiben die Flaschen nach der Abfahrt genau elf Sekunden lang. Dann fliegen die Kronkorken durch die Reihen. Schon das Öffnen der Flaschen zeigt: Hier sind Profis am Werk. Und zwar mit dem Feuerzeug (das ist die leichteste Übung), mit Kugelschreiber, Tischkanten, Schneidezähne - jedes Hilfsmittel ist ihnen recht, um schnell an den Inhalt der Flasche zu gelangen.

Bei der ersten Pinkelpause wird mir klar, warum es eine Fahrt ins Blaue ist. Zur Musik von Brunner und Brunner fahren wir auf der A 1 stramm Richtung Süden. Ja, stramm. Von der letzten Bank dröhnen die ersten selbst verfassten Gesänge durch den Bus. Tonart und Timing: völlig egal. Früher auf Klassenfahrt saß ich auch dort hinten und spielte Autoquartett. Der größte Erfolg: Mein Kässbohrer-Bus hat den Lamborghini des Klassenkollegen locker ausgestochen: Der Bus bot mehr Sitze. Ungefähr so viele wie dieser hier, in dem wir gerade Osnabrück passiert haben.

Wohin geht die Klassenfahrt? Fest steht: Wir bleiben über Nacht, denn wir sollten den Kulturbeutel mitnehmen und frische Wäsche. Hat Klassenlehrer John gesagt.

Die Stimmung steigt, sie kippt förmlich um: von hanseatischer Zurückhaltung in rheinischen Frohsinn. Verständlich, es sind nur noch zwanzig Kilometer bis Düsseldorf. Und schließlich haben wir das Ziel erreicht, das alle kannten, nur ich nicht: Neuss, die Stadt am linken Niederrhein. Dann geht es Schlag auf Schlag. Einchecken im Hotel, Kulturbeutel auf, Deo untern Arm.

Zwei Stunden später sind wir da, im Epizentrum des "Einer geht noch rein!" - in der Skihalle Neuss. Die Kunstschnee-Piste ist längst geschlossen, Nordrhein-Westfalen hat sich hier zum Après-Ski verabredet. Ich schätze mal, rund fünftausend sind nach Neuss (englisch: Noise) gekommen. Und mittendrin lässt die Bremer Klassenfahrt die Arme durch die Luft kreisen: "Komm, hol das Lasso raus, wir spielen Cowboy und Indianer!"

John bringt derweil die nächsten Biere. Ein pädagogisches Konzept, das alle überzeugt. Bis morgens um fünf, habe ich gehört. Aber so schön eine Klassenfahrt auch ist: Ich bin um zwei ins Bett gegangen. Aus reiner Vernunft: Montag fängt die Schule wieder an.


Einmal im Monat: die Reisekolumne von Uwe Bahn.