Früher fuhr man auf Kassen-Kosten zur Kur, heute geht's auf eigene Rechnung ins Verwöhnhotel mit Medizinabteilung.

Atmen Sie ganz tief durch", rät Trainer Rainer seiner Nordic-Walking-Gruppe. Seine Teilnehmer gehören zu den "Bestagers", wie heute die Menschen in den besten Jahren auf Neudeutsch heißen. Zehn Personen - davon sieben Frauen - sind über ein verlängertes Wochenende zusammengekommen, um an einem Medical-Wellness-Programm teilzunehmen. Susanne, eine rüstige Frau Anfang 70, ist extra aus Wien an die Ostsee gereist, nachdem eine Freundin sie über das Angebot informiert hatte: "Nur so a bisserl Kosmetik und Massagen tun's halt net", sagt sie.

"Mens sana in corpore sano" ist das Leitmotiv von Dr. Alexander Witasek, der die Gruppe nach Walking und Gymnastik unter seine Fittiche nimmt. "Die alten Lateiner hatten schon Recht", sagt der Leiter des im vergangenen Jahr eröffneten Gesundheitszentrums im Hotel "meerSinn" in Binz auf Rügen. "Gesunder Geist und Körper gehören zusammen. Wer mit Köpfchen richtig vorbeugt, wird in der Regel gar nicht erst krank." Mit seinen auf jeden Patienten individuell abgestimmten präventiven Behandlungsmethoden ist er sehr erfolgreich.

Experten sehen für 2007 einen erfreulichen Trend: Jeder zweite Bundesbürger hat Erhebungen zufolge die feste Absicht, in diesem Jahr erheblich mehr für seine Gesundheit zu tun als bislang. "Die klassische Kur ist passe", resümiert eine Dame aus dem öffentlichen Gesundheitswesen. "Manche haben sie früher als eine Art Sonderurlaub auf Krankenschein angesehen und sich nicht immer an die Regeln gehalten. Sie wissen ja selbst: Alles, was die Allgemeinheit bezahlt, taugt nichts!" Diese Einstellung hat sich inzwischen grundsätzlich geändert. Die Zahl derer, die tiefer zur Erhaltung ihrer Gesundheit in die Taschen greift, wird immer größer.

Auch Reiseveranstalter haben die Zeichen der Zeit verstanden und legen Programme auf, in denen Urlaubsspaß mit Gesundheitspflege optimal verquickt werden. Ein Beispiel: TUI entwickelt sich nach eigenen Worten zum Gesundheitsspezialisten und startet ab Sommer 2007 eine Kooperation mit Apotheken unter dem Motto "gesund leben". Der größte Wachstumsmarkt liegt nach Ansicht von TUI-Manager Andreas Casdorff im Bereich Gesundheitsurlaub. Ein Blick in den "Vital Katalog", der ab April 2007 gültig ist, weist eine stattliche Anzahl von Gesundheits- und Wohlfühlangeboten aus. Eine Rubrik ist ganz der Zusammenarbeit mit den Krankenkassen gewidmet, die verschiedene Präventionsprogramme bezuschussen. Hierzu gehören auch Rheuma-, und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Beschwerden des Bewegungsapparats.

"Bewegung, Bewegung, noch mal Bewegung. Und dazu eine ausgewogene Kost, Stress abbauende Anwendungen, und Sie sind am Ende Ihrer Medical-Wellness-Kur wieder wie neu!" Der leitende Arzt meines Spa-Hotels händigt mir eine lange Liste aus, in die er meine Termine für die kommende Woche eingetragen hat. Eigentlich sei eine Verweildauer von mindestens 14 Tagen optimal. "Aber Sie bekommen hier so viele Anregungen, die Ihnen auch zu Hause nützlich sind", sagt er. Mein Tag beginnt morgens um acht Uhr mit Nordic Walking und anschließenden gymnastischen Lockerungsübungen an der frischen Luft. Zum Frühstück gibt es leichte, fettarme Kost und Kräutertee. "Früchtetees sind tabu, weil sie unseren ohnehin schon übersäuerten Organismus noch saurer machen", erklärt eine Mitarbeiterin. Der Speiseplan ist nach einem ausführlichen Test individuell auf jeden Typ abgestimmt: "Ich bin Typ III", sagt meine Nachbarin beim Mittagessen, "heiß und feucht. Und du?" Ich habe mich als Typ I "geoutet" - heiß und trocken. Deshalb sind etwas kräftiger gewürzte und gesalzene Speisen ideal für mich. Der kalt-feuchte Typus hingegen sollte möglichst salzarm essen.

Die Massagen und Bäder in diesem eleganten "Gesundheitstempel" unterscheiden sich von den üblichen Wellnessbehandlungen. Allein die vom Chef selbst durchgeführten täglichen 15-minütigen Bauchmassagen fördern das Wohlbefinden ungemein. Ein Stab fachkundiger Mitarbeiter lässt Detox-Wannenbäder und galvanische Fußbäder ein, verabreicht Thermo-Behandlungen und Massagen zur Anregung des Stoffwechsels. Obwohl der Tag ausgefüllt ist mit Anwendungen, bleibt immer noch Zeit für eine Teestunde am Nachmittag und einen Erfahrungsaustausch unter den Patienten. "Ich habe innerhalb von zehn Tagen drei Kilo abgenommen", strahlt Lisa, ein munterer "Doppel-Twen" Und das ganz ohne Mühe. "Nie habe ich wirklich Hunger gehabt." Und auch der Preis von mehr als 2000 Euro war für sie kein Grund, Magenprobleme zu bekommen.

Darben muss hier in der Tat niemand. Zum Abendessen wird manchem sogar eine Karaffe Rotwein kredenzt: "Der ist sehr bekömmlich", sagt der behandelnde Arzt. " Aber mehr als ein Viertel ist nicht erlaubt." Nach dem Essen bittet er seine Patienten zu Vorträgen. Anhand von Schautafeln, Tabellen und ziemlich drastischen bildlichen Darstellungen weist er auf die größten Sünden unserer modernen Zivilisation hin: "Abgesehen davon, dass wir uns heute viel zu wenig körperlich betätigen, ernähren wir uns vollkommen falsch. Die meisten essen zu viel und zu schwer."

Unser "Doc" hat nicht übertrieben. Nach dieser medizinisch betreuten Wellnesswoche fühle ich mich wie neu geboren. Die Abschlussuntersuchung ist erfreulich: Blutbild und -druck sind perfekt. Und auch die Herzstiche, die mich gelegentlich quälten, sind wie weggeblasen.