Auf Plattbodenschiffen wird Landratten zwischen Mai und Oktober erklärt, wo es langgeht im eingedeichten Süßwassergebiet Nordhollands.

Das Wichtigste zuallererst: "Wo sind die Rettungswesten? Was ist zu tun, wenn wir wirklich in Seenot geraten sollten?" Im Hafen von Enkhuizen unterweist Anneleen die neuen Gäste an Bord des Plattbodenschiffs "Mon Desir". Die nächsten fünf Tage werden die 20 Landratten auf dem Traditionssegler verbringen und dabei das Leben und auch die Arbeit auf See kennenlernen.

Eine Stunde lang werden die Gäste von Anneleen im Segelsetzen angelernt. "Trockensegeln", so nennen sie das wohl. Anneleen macht den Landratten klar: "Beim Segelsetzen hören alle auf mein Kommando, segeln kann man nur im Team." Anneleen Bongaerts ist die Matrosin auf dem 1903 erbauten Zweimaster "Mon Desir", ihr Lebenspartner Sebastiaan Prins der Skipper. Dann endlich heißt es für die Gäste Leinen los, und mit Motorkraft steuert Kapitän Prins das Segelcharterschiff langsam hinaus aufs Ijsselmeer.

Die "Mon Desir" - auf Deutsch "mein Verlangen" - ist einer von etwa 500 Traditionsseglern, die mit Touristen auf Törns gehen. Auf dem Plattbodenschiff können bis zu 25 Gäste mitsegeln. In dessen ehemaligem Frachtraum unter Deck sind Küche und Gemeinschaftsraum und die Schlafplätze in Doppelkabinen und Dreierkajüten. "Mit Segeln erlebt man mehr als nur das Meer", ist Sebastiaan Prins' Motto für die Törns mit Touristen. Schon nach wenigen Seemeilen auf den Wellen des Ijsselmeeres merken die meisten Neulinge: Segeln geht nur in der Gemeinschaft, Segelsetzen ist Teamarbeit.

+++In 90 Tagen über den Atlantik - in einem Ruderboot+++

+++Mit dem Wind von Bucht zu Bucht+++

"Jede Gruppe ist anders, und jede Tour ist anders, wenn auch die Zielhäfen dieselben bleiben", erläutert Prins. Vom Heimathafen Enkhuizen in Nord-Holland steuert er die "Mon Desir" quer über das Ijsselmeer nach Lemmer, Hindeloopen, Stavoren und Makkum. Eine Wochentour kann die Gäste in die friesische Hafenstadt Harlingen und übers Wattenmeer zu den niederländischen Nordseeinseln führen, Wochenendtrips auch mal nach Hoorn, Edam, Volendam und Amsterdam. "Das hängt von den Wünschen der Gruppe ab und natürlich vom Wind", sagt Sebastiaan Prins. "Wenn du tagelang nur Flaute hast, dann sieht das schlecht aus mit dem Abstecher nach Texel oder Terschelling."

Für Segeltrips auf dem Ijsselmeer beginnt die Saison im Mai und endet etwa Anfang Oktober. Begehrt sind Fahrten an den Brückentagen oder verlängerten Wochenenden in Deutschland, etwa über Fronleichnam, Christi Himmelfahrt oder den 3. Oktober. "Über 90 Prozent unserer Mitsegler kommen aus Deutschland. Beliebt sind die Touren bei Abiturklassen, aber auch bei Vereinen oder Großfamilien", erzählt Pouwel Slurink, Direktor des Segelcharterers Nautische Partner (Naupar) in Lelystad. Mit einer Flotte von rund 100 Traditionssegelschiffen gilt Naupar als größter Charterbetrieb für Plattbodenschiffe in den Niederlanden. Zahlreiche weitere Anbieter sind heutzutage leicht übers Internet zu finden.

"Je nach Schiffsgröße kommen zwischen zwölf und 40 Passagiere an Bord. Die Stammbesatzung besteht aus zwei oder drei Matrosen und dem Skipper", erläutert Slurink. So unterschiedlich wie die Schiffsgrößen ist die Ausstattung - von kleinen Kajüten mit Gemeinschaftsduschen bis zur geräumigen Kabine mit eigenem Whirlpool reicht das Angebot. Entsprechend unterschiedlich sind die Charter-Preise. Eines der größten Schiffe mit viel Komfort ist die 58 Meter lange "Soeverein" für bis zu 44 Segler. Der Dreimaster erinnert an die Schiffe der Niederländischen Ostindien-Kompanie (VOC), die im 17. Jahrhundert von Amsterdam, Hoorn und Enkhuizen bis Indonesien auf den Weltmeeren unterwegs waren.

An Bord der Traditionssegler gibt es keinen Schiffskoch, die Gäste verpflegen sich selbst - und kochen für die Stammbesatzung mit. Schon am ersten Tag stellt sich heraus, wer die Küchendienste unter Deck übernimmt. "Das Kochen an Bord ist kein Problem, schließlich ist die Kombüse voll ausgestattet", erzählt Anneleen Bongaerts. "Schwerer tun sich viele damit, zuvor an Land die ausreichenden Mengen für 15 oder 20 Hungrige einzukaufen." Wie viele Kilo Kartoffeln werden von 20 angehenden Seebären während einer Woche verputzt? Welche Mengen an Brot, Kaffee und Tee braucht man?

+++Tidenkieker auf Rekord-Kurs+++

Die Geschichte der Plattbodenschiffe führt in das 19. Jahrhundert zurück. Damals transportierten die Segler Torf, Sand und Salz über das holländische Binnenwassernetz und die Zuiderzee. Manche Fahrten gingen bis nach Skandinavien oder zu den Häfen des Baltikums. Plattbodenschiffe werden so genannt, weil sie - anders als Segelyachten - kein Schwert unter dem Kiel, aber Seitenschwerter haben. Damit kommen sie auf einen geringen Tiefgang und können so auch kleinere Zweigkanäle mit geringer Wassertiefe befahren.

Um 1930 wurden die letzten Plattbodenschiffe gebaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen Motorfrachter die Transportaufgaben, und die Plattbodenschiffe gerieten fast in Vergessenheit. In den 1980er-Jahren kamen findige Schiffseigner auf die Idee, mit den traditionsreichen Seglern Touren für Touristen zu unternehmen. "Seitdem wächst die Flotte", erinnert sich Paul van Ommen von der BBZ Vereniging voor Beroepschartervaart in Enkhuizen. In dem Berufsverband haben sich 500 Eigner, Kapitäne und Steuerleute zusammengeschlossen.

Die ganze Faszination der Skutsje - einem kleinen Plattbodenschiff - erleben die Besucher des Skûtsjemuseums im friesischen Earnewald bei Leeuwarden. Skutsjes transportierten Sand und Steine, Torf und sogar Kuhmist über die Kanäle Frieslands - 4000 solcher bis 20 Meter langen Segler soll es einst gegeben haben, heute sind etwa 50 mit Ausflüglern unterwegs. "Wir segeln mit unseren Gästen über die kleinen Kanäle und die Seenplatte des Nationalparks Alde Feanen", erklärt Reeder Cathrienus Herrema in Earnewald. "Eine faszinierende Moorlandschaft, die man am besten von Bord aus erleben kann."