Jenny Fiehland ist schwerbehindert. Jetzt startet die 22-Jährige aus Himmelpforten in Stade in ein ganz normales Berufsleben. Es läuft gut.

Die Demenzkranken lieben sie, zum Beispiel diese 86-Jährige. Lässt ihren vollen Teller auf dem Tisch stehen und läuft in die Küche. "Da ist ja meine Kleine", sagt sie, strahlt Jenny Fiehland an und drückt sie an sich. Die Gefühlsregung endet mit einem dicken Schmatzer auf Jenny Fiehlands Arm. Für die Demenzkranken der Johannisheim-Pflegewohngemeinschaft ist die 22-Jährige aus Himmelpforten nicht die Schwerbehinderte. Für sie ist sie die Kleine. Klein ist sie ja auch.

Seit Januar arbeitet Jenny Fiehland in der Johannisheim-Pflegewohngemeinschaft in Stade. Bis Ende März muss Peter Abraham, 47, Geschäftsleiter der Einrichtung, der Arbeitsagentur melden, wie viele Schwerbehinderte er beschäftigt. Alle Arbeitgeber müssen das. Jenny Fiehland wird er mit in die Liste aufnehmen. Sie ist eine von insgesamt drei Schwerbehinderten in der 55 Mitarbeiter großen Firma.

Noch läuft ihre Probezeit. Aber sie hat Hoffnung auf ein ganz normales Arbeitsleben ohne Fördereinrichtungen und Werkstätten. Ihre Schwerbehinderung hat hier keine Bedeutung. Weder für die kranken Bewohner noch für die Kollegen. "Man merkt ihr die Behinderung gar nicht an", sagt ihre Vorgesetzte, die Hauswirtschaftskoordinatorin Susanne Bednarz, 47.

Jenny Fiehland leidet von Geburt an unter dem Ullrich-Turner-Syndrom. Ihr Körper produziert keine weiblichen Hormone. Sie wird nie Kinder bekommen. Ihre Entwicklung war verzögert. Als Kleinkind fing sie später als andere an zu krabbeln und zu laufen. Auch der Kleinwuchs ist eines der Symptome dieser Krankheit. Um die Körpergröße noch etwas nach oben zu treiben, muss sich Jenny Fiehland täglich Wachstumshormone spritzen, seit sie drei ist. Nur deshalb hat sie es auf eine Größe von 1,54 Meter geschafft. Und deshalb hat sie nicht die typischen viel zu kurz geratenen Arme und Beine wie etwa die kleinwüchsige Schauspielerin Christine Urspruch ("Alberich") aus der Tatort-Serie. Jenny Fiehland wirkt wie ein besonders zierlicher Teenager. Sie trägt knallenge Jeans und Turnschuhe.

Zu ihrem Kleinwuchs kam vor zweieinhalb Jahren noch eine chronische Darmerkrankung hinzu, sodass sie das erste Jahr ihrer Ausbildung zur Hauswirtschaftshelferin beim Bildungswerk Niedersächsischer Volkshochschulen (BNVHS) in Stade verpasste. Sie verbrachte fast ein Jahr im Krankenhaus. Die Darmerkrankung steigerte den Grad ihrer Behinderung von 60 auf 80 Prozent. Ständig muss sie damit rechnen, ohnmächtig zu werden.

Die Frage nach dem Warum stellt sich Jenny Fiehland schon lange nicht mehr. "Es ist passiert, und rumheulen bringt nichts", sagt sie.

Sie vermeidet Fett im Essen und trinkt keinen Alkohol. Dennoch kann es immer wieder vorkommen, dass sie mehrere Tage ausfällt. Dagegen ist sie machtlos und hat das auch ihrem Arbeitgeber klargemacht. "Solche Informationen sind für uns sehr wichtig, damit sich die Kollegen und Vorgesetzten auch richtig verhalten und darauf einstellen können", sagt Peter Abraham.

12 Uhr, Zeit für das Mittagessen. Flink wieselt Jenny Fiehland von Tisch zu Tisch und serviert den insgesamt 13 demenzkranken Bewohnern in der Gruppe "Altes Land" das Essen. Es gibt Grünkohl, Kasseler und Kartoffeln. Der Kohlgeruch mischt sich mit dem Duft von Desinfektionsmitteln. Eine grauhaarige Frau stellt ihren Becher mitten in den Grünkohl. Jenny Fiehland bleibt unbeeindruckt. Sie räumt das schmutzige Geschirr ab und fragt freundlich, ob das Essen geschmeckt habe. Hin und wieder streichelt sie Rücken und Hände. Sie spült Töpfe, säubert den Herd, befüllt die Spülmaschine. Sie läuft hin und her. Von der Küche in die Waschkammer und zurück. Sie kocht, wischt, wäscht, faltet, bügelt und sortiert.

"Ich hätte nicht gedacht, dass es mit ihr so reibungslos funktioniert", sagt ihre Vorgesetzte Susanne Bednarz. Besonders positiv ist ihr aufgefallen, dass Jenny Fiehland so offen auf die Bewohner zugehe. "Obwohl viele der Demenzkranken nicht ganz einfach sind. Auch der Geschäftsführer findet warme Worte. "Sie ist sehr pfiffig", sagt Peter Abraham. Natürlich wird er die sechsmonatige Probezeit nutzen, um besser einschätzen zu können, wie sich die Krankheit von Jenny Fiehland im Arbeitsalltag auswirkt und ob sie am Ende nicht doch zu oft abwesend ist.

Es ist 14 Uhr. Das Geschirr ist abgeräumt. Die Spülmaschine läuft. Nur eine Bewohnerin, 89, sitzt noch im Wohn- und Essraum, vor sich einen Rollator. Jenny Fiehland legt eine CD in die Musikanlage ein und dreht die Lautstärke auf. "Auf Matrosen, ohe. Einmal muss es vorbei sein." Die Frau stimmt mit ein. Sie schaut hoch zu Jenny Fiehland. Sie lächelt. Sie findet "die Kleine" toll.