De Jager zieht sich zurück. Seine Partei, die ihm die nötige Unterstützung verwehrt hat, steht vor einem Scherbenhaufen.

Am Ende der Pressekonferenz steht ein Satz, der in der Nord-CDU in immer kürzer werdenden Abständen kursiert. "Die Partei hat jetzt die Chance für einen tatsächlichen Neuanfang", sagt Jost de Jager, der kurz zuvor seinen Rücktritt als Landesvorsitzender erklärt hat. Zittrig ist die Stimme, als er im Saal "Förde 2" des Atlantic-Hotels Kiel seine Erklärung abgibt, das Gesicht gerötet, die Miene angespannt. Doch dann, als die Nachricht heraus ist, als das Ende als Politiker, das offenbar herbeigesehnte Ende, immer näher rückt, wird de Jager, der nicht gerade zur Lockerheit neigt, immer unbefangener, immer heiterer. Ein grauer Tag in Kiel? Nicht für den ehemaligen Landesvorsitzenden. Eine Last scheint von ihm abgefallen zu sein, als er schließlich den Satz vom Neuanfang spricht. Es klingt wie Trost - Trost für eine Partei, aus deren Fängen er sich gerade endgültig befreit hat.

Vielleicht ist es ja wirklich nicht so einfach, diese Nord-CDU zu führen. Es ist eine Partei mit einer großen Vergangenheit. Ununterbrochene 38 Jahre lang, von 1950 bis 1988, stellten die Christdemokraten den Ministerpräsidenten im Land zwischen den Meeren. Männer sind darunter, deren Namen heute noch einen guten Klang haben in Schleswig-Holstein. Kai-Uwe von Hassel, Helmut Lemke, Gerhard Stoltenberg: Das waren Landesväter, denen die Bürger vertrauten. Zuletzt hatte Peter Harry Carstensen dieses Landesvater-Image erneuert und aufpoliert.

Doch am Ende wurde es holprig. Carstensen hatte sich einen jungen Mann aus dem Kreisverband Pinneberg ausgeguckt, der ihn beerben sollte: Christian von Boetticher. 2010 wurde er Landesvorsitzender, von Carstensen protegiert. 39 Jahre alt war er da, gut aussehend und hochgewachsen. Von Boetticher sollte neue Wählerschichten erschließen und die alten bei der Stange halten. Bei der Landtagswahl 2012 sollte er als neuer Spitzenkandidat die CDU zu neuen Erfolgen führen. Die Affäre des jungen Mannes mit einer Minderjährigen machte diesen Plan zunichte. Von Boetticher war nicht zu halten, und Carstensen war nicht zu überreden, noch einmal als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl anzutreten. Der Landesvater war müde. Jost de Jager, nicht unbedingt erpicht auf den Job des Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten, sprang ein. Die Partei sprach von einem "Neuanfang". Er habe Verantwortung übernommen, sagt de Jager heute. Und fügt hinzu: "Das ist mir nicht immer leicht gemacht worden."

Im Wahlkampf erlebte man einen fleißigen und kompetenten Politiker. Begeisternd wirkte er nicht. Am Ende war das Ergebnis katastrophal. 22 Sitze hat die CDU derzeit noch im Kieler Landtag. Weniger waren es nur nach der Wahl im Jahr 1950.

Unzufrieden als Oppositionschef

Die Stimmung zwischen dem Landesvorsitzenden und seiner Partei war dann nicht mehr so gut. Jost de Jager, dem die Arbeit als Wirtschaftsminister im Kabinett Carstensen Spaß gemacht hatte, mochte sich mit dem Job als Chef einer Oppositionspartei nicht zufriedengeben. Er wollte auch in den Landtag, aber er fand keinen Parteifreund, der für ihn zur Seite trat. Die wenigen CDU-Abgeordneten, die es noch gab, dachten nicht daran, ihr Mandat aufzugeben, um ihren Spitzenkandidaten doch noch in den Landtag zu hieven. Im Gegenzug hielt der Landesvorsitzende nicht mit Kritik an seiner Partei zurück. 40 Minuten sei er damals, kurz vor der Landtagswahl, durch Schleswig-Holstein gefahren, ohne ein Wahlplakat der CDU zu sehen, monierte er öffentlich. "So geht das nicht." In den Städten werde die CDU nicht mehr wahrgenommen, mäkelte er. Fazit: Sie müsse sich wieder stärker als Volkspartei profilieren. Am 24. November, beim Landesparteitag in Neumünster, warb er um Zustimmung für seine Ideen und seine Person. Als mitreißend wurde seine Rede nicht empfunden. Mit 81,13 Prozent wurde er erneut zum Landesvorsitzenden gewählt. Jost de Jager hat das als "ausbleibendes Aufbruchsignal" gewertet. Er hat über Weihnachten den Familienrat einberufen - und sich entschieden: Schluss mit der Politik!

In der Landes-CDU hat es immer wieder Probleme mit dem Rückhalt, mit der Unterstützung von Kandidaten und neu ins Amt Berufenen gegeben. Uwe Barschel, der Mann mit der Affäre, ist vielleicht der letzte Christdemokrat gewesen, dem die Parteimitglieder und Funktionäre nahezu bedingungslos gefolgt sind. Nach einem knallharten Landtagswahlkampf hatte die CDU im Jahr 1987 versucht, erneut die Mehrheit der Stimmen zu bekommen. Ministerpräsident Uwe Barschel, der nie Landesvorsitzender war, hatte sich einen "Mann fürs Grobe" in die Staatskanzlei geholt: Rainer Pfeiffer. Der scheute vor keinem Trick zurück, um den damals recht populären SPD-Spitzenkandidaten Björn Engholm zu diskreditieren. Pfeiffer zeigte ihn wegen Steuerhinterziehung an und setzte Detektive auf ihn an. Er gab sich als Arzt aus, behauptete in einem Gespräch mit Engholm, dieser sei möglicherweise an Aids erkrankt. Ob Barschel von diesen Aktionen gewusst hat, konnte nie zweifelsfrei geklärt werden. Am 14. September 1987 veröffentlichte der "Spiegel" die Geschichte. Erst drei Wochen später trat Barschel, lange gestützt durch die Partei, vom Amt des Ministerpräsidenten zurück.

Wadephul wollte frischen Wind bringen

Danach war erst einmal Schluss mit den schönen Zeiten des Regierens. Aber auch in der Opposition fand die CDU Zeit zum Streiten. Martin Kayenburg und Johann Wadephul hießen die Widersacher. Wadephul, damals erst 37 Jahre alt, wurde im Jahr 2000 zum Landesvorsitzenden der Nord-CDU gewählt. Sein Gegenkandidat hieß Reimer Böge, der heute immer noch stellvertretender Landesvorsitzender ist und nun unter Umständen Jost de Jager beerben könnte. Wadephul wollte damals für frischen Wind sorgen. "Aufbruch steht für eine zupackende, tatkräftige Politik, die junge frische Dynamik mit konservativ Bewährtem verbindet", sagte er bei seiner Wahl.

Doch schon ein Jahr später gab es Ärger. Wadephul wollte mehr. Er wollte das Amt des Fraktionsvorsitzenden. Das hatte der wesentlich ältere Martin Kayenburg inne, und der widersetzte sich. Ein Machtkampf begann, der mit einem seltsamen Kompromiss und einer Niederlage Kayenburgs endete. Wadephul wurde im Mai 2001 zum Fraktionsvorsitzenden gewählt, konnte den Posten aber erst im Herbst antreten.

Seinem ersehnten Ziel kam er dennoch nicht näher. Aus der Rolle des Oppositionsführers heraus wollte er Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 2005 werden. Aber da hatte Peter Harry Carstensen die Nase vorn. Zehn Jahre später machte die Nord-CDU dann richtig Schlagzeilen: mit der "Lolita-Affäre" des Christian von Boetticher. Auf welche Weise diese Affäre an die Öffentlichkeit geriet, ist nach wie vor unklar. Tatsache ist, dass die Beziehung des Politikers mit dem Mädchen schon zu Ende ist, als sie bekannt wird. Bekannt ist auch, dass Christian von Boetticher damals innerparteiliche Gegner hatte. Johann Wadephul gehörte dazu, der mittlerweile Bundestagsabgeordneter ist. Er hatte auf eine Karriere in einem Berliner Ministerium gehofft, aber daraus ist nichts geworden.

Bei den Christdemokraten geht die Angst um, dass die SPD von der Affäre ihres Spitzenkandidaten erfahren könnte. Carstensen drängt seinen Schützling von Boetticher, als Spitzenkandidat zurückzutreten. Der weigert sich. Damit verliert er den Rückhalt seines einstigen Gönners. Immer mehr Parteimitglieder tuscheln über die Affäre ihres Spitzenkandidaten, schließlich bekommen auch die Medien Wind davon. Am 14. August berichten gleich drei Sonntagszeitungen über die Vorwürfe gegen von Boetticher. Am selben Tag verkündet der einstige Carstensen-Schützling seinen Rücktritt als Landesvorsitzender, am Tag darauf verliert er auch den Posten des Fraktionschefs.

Bei Jost de Jager liegt der Fall anders. Es gibt keinen Skandal. Dem Rücktritt liegt eine freie Entscheidung zugrunde. Aber es ist eben auch eine Entscheidung, die auf einen fehlenden Rückhalt in der eigenen Partei zurückgeht. "Ich mache niemandem Vorwürfe", sagt der ehemalige Landesvorsitzende an diesem grauen Tag an der Kieler Förde. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat er am Montag per Telefon informiert. "Ich hatte den Eindruck, dass sie Verständnis für diesen Schritt hat." Verständnis für Jost de Jagers ganz persönlichen Neuanfang.