Der Rücktritt von Jost de Jager wirft ein schlechtes Licht auf den Zustand der Partei

Die CDU in Schleswig-Holstein hat seit der Barschel-Affäre 1987 viele Krisen durchgemacht, viele Täler durchschritten, viele Tiefpunkte erlebt. Seit Dienstag kommt in diese Reihe ein neues Datum hinzu: Der Rücktritt von Jost de Jager ist ein schwerer Schlag für die Partei. Zerrieben von innerparteilichen Intrigen, hartnäckigen Widersachern und ohne Rückhalt aus Berlin hat der Landeschef hingeworfen. Mit Jost de Jager geht ein Politiker, der in weiten Teilen des Landes geschätzt wird und im Mai ein respektables Ergebnis bei den Landtagswahlen geholt hatte. Zurück bleibt eine Partei, gegen die selbst die FDP derzeit wie eine Kuschelgruppe wirkt. Und zurück bleiben Fragen, die über Kiel hinausreichen.

Auch ein Vierteljahrhundert nach der Barschel-Affäre, der Urkatastrophe der Union in Schleswig-Holstein, hat sich die CDU nicht wirklich gefangen. Von 1950 an hatte die Union Schleswig-Holstein regiert, von 1971 bis 1987 gar mit absoluter Mehrheit. Erst die perfiden Machenschaften des CDU-Medienreferenten Reiner Pfeiffer gegen den damaligen SPD-Spitzenkandidaten Björn Engholm beendeten die CDU-Vorherrschaft in einem strukturell eher konservativen Land.

Auch die Regierungszeit von Peter Harry Carstensen war keine echte Trendwende: Ins Amt kam der Nordstrander durch den sogenannten Heide-Mord - eine Intrige gegen die Ministerpräsidentin Heide Simonis 2005. Und die Wiederwahl von Carstensen 2009 hatte den Schönheitsfehler, dass das Landesverfassungsgericht die Sitzverteilung für nicht rechtmäßig hielt und Neuwahlen verlangte.

Unter der Ägide von Peter Harry Carstensen - immerhin sieben Jahre - gelang es der Union nicht, sich personell stark aufzustellen. Stets lähmten Intrigen die Partei: Der designierte Carstensen-Nachfolger Christian von Boetticher stolperte 2011 über die Beziehung zu einer 16-Jährigen. Es waren ausgerechnet Christdemokraten, welche die pikanten Informationen lancierten. In Schleswig-Holstein steigert man Feind mit Todfeind. Und Todfeind mit Parteifreund. In Zeiten, in denen eine Fülle potenzieller Nachfolger Schlange stehen, mag dieses Konzept aufgehen; in einer personell ausgezehrten Partei ist es Selbstmord.

Hier ähnelt die Situation in Schleswig-Holstein der in Hamburg: In der Hansestadt brach die Erosion der CDU los, als Michael Freytag, Finanzsenator und designierter Ole-von-Beust-Nachfolger, im März 2010 zurücktrat. Die personell dünne Decke reichte nicht, um diesen Ausfall zu kompensieren. Und weder Carstensen noch Beust kümmerten sich ausreichend um die Partei, um sie für die Zeit nach ihrem Ausscheiden stark aufzustellen. Am Ende ihrer Amtszeit überlagerte der verständliche Wunsch nach dem Rückzug ins Private das parteipolitische Pflichtgefühl.

Die Union in Kiel wie in Hamburg leidet besonders an einem Phänomen, das in immer mehr Landesverbänden vieler Parteien um sich greift: Es gibt viele Karrieristen, aber wenig Charaktere. Wer Verantwortung übernimmt, wird bekämpft: So zog in Schleswig-Holstein kein Direktkandidat zurück, nachdem Jost de Jager über die Landesliste den Einzug ins Parlament verpasste, selbst seine Kandidatur für die Bundestagswahl wurde bekämpft. Jost de Jager trat zurück, nachdem er getreten wurde.

Angesichts des Scherbenhaufens in Kiel muss sich auch die Bundes-CDU kritische Fragen gefallen lassen. Helmut Kohl sagte man einst nach, bis in die Kreisverbände hinein alle Amtsträger persönlich zu kennen - er hatte ein dichtes Netz gespannt, das eine strauchelnde Partei im Notfall aufzufangen vermochte. Der Parteichefin Angela Merkel muss als Kanzlerin den Euro retten, da mag es an Zeit fehlen, sich um die Entwicklung in Wandsbek oder Schleswig zu kümmern. Aber für einen CDU-Generalsekretär etwa gibt es im Norden nun noch mehr zu tun.