Das Amtsgericht berief sich auf ein ärztliches Gutachten und lehnte eine Betreuung von Irmgard Sch. ab.

Norderstedt. Michael Sch. (48) und seine Schwester Christiane (53) rauchen pausenlos, um den Gestank zu vergessen, der sie den ganzen Tag umgeben hat. Die Geschwister haben begonnen, die Wohnung ihrer Mutter Irmgard in Norderstedt aufzuräumen. Die alte Frau starb vor zwei Wochen im Alter von 84 Jahren (wir berichteten). Der erste Container ist randvoll. Stundenlang haben die beiden gearbeitet, doch es ist nur ein kleiner Anfang gemacht. Bis unter die Decke stapelt sich der Müll in dem Endreihenhaus an der Hans-Salb-Straße. 200 bis 300 Kubikmeter kommen zusammen, hat Handwerksmeister Sch. zusammengerechnet.

Aufräumen wollten die Geschwister schon zu Lebzeiten ihrer Mutter. "Wir wollten helfen", sagt Sch. "Doch wir konnten nicht." Jetzt muss er gemeinsam mit seiner Schwester entsorgen, was einst Lebensinhalt seiner Mutter war: Müll. Irmgard Sch. war ein "Messie", litt am Vermüllungssyndrom und lebte in einem Inferno aus Sperrmüll, Verpackungen, Schimmel und Exkrementen. Sie musste sich durch schmale Gänge zwängen, um sich in der Wohnung bewegen zu können. "Meine Mutter konnte sich in der Wohnung nicht waschen, und sie konnte sich nichts zu essen machen", sagt Christiane Sch.

"Wenn Ihre Mutter so leben möchte, müssen Sie das akzeptieren!" Diesen Satz bekam die 53-Jährige zu hören, als sie sich im Januar gemeinsam mit einer Amtsrichterin die Wohnung ansah. Die Geschwister hofften, dass ein vom Gericht bestellter Betreuer ihre Mutter davor bewahren könnte, in ihrem Müll umzukommen. "Wir konnten doch unsere Mutter so nicht leben lassen!", hielten Michael und Christiane dagegen, die jeden Einfluss auf ihre Mutter verloren hatten. Doch sie konnten die Justiz, die sich auf ein ärztliches Gutachten stützt, nicht überzeugen. Irmgard Sch. konnte weiter ihre krankhafte Sammelwut ausleben. Die Sorge um eine Mutter, die im Dreck unterging, prallte gegen das Recht, das Leben nach eigenem Willen zu gestalten - und sei es im Abfall.

Irmgard Sch. lebte seit 35 Jahre allein an der Hans-Salb-Straße. "Sie hatte schon immer einen Sammeltick", berichten ihre Kinder. Die Schneiderin stapelte Stoffe in ihrem Haus und trug mit der Bemerkung "Das kann man noch brauchen" schon vor Jahren Sperrmüll von der Straße in ihre Zimmer. Als Irmgard Sch. vor 19 Jahren in Rente ging, wurde es in der Wohnung bereits eng. "Ist doch gar nichts los", sagte sie, wenn sie auf die Berge von Zeitungen, Versandhauskartons und Kleidung angesprochen wurde. Wenn Geburtstag gefeiert wurde, legte Irmgard Sch. Decken über die vielen Stapel.

Vor etwa zwei Jahren trat schleichend eine neue Entwicklung ein. In der Wohnung lag Kot und Abfall, der vor sich hinrottete. Der Hausarzt sagte den Kindern: "Für ihre Mutter ist das normal." Im Oktober stellte Christiane Sch. den Betreuungsantrag. "Wir hatten Sorge, dass etwas passiert." Doch der Antrag scheiterte. Rat und Tat vom Sozialamt, einem Pflegedienst? Fehlanzeige. In das Haus ihrer Mutter gehen, das konnten die Kinder nicht mehr. Es gab Streit. Immer wieder versuchte Hartmut Sch., wenigstens per Telefon Kontakt zu halten, doch seine Mutter hörte nur selten das Klingeln. Vermutlich fand sie das Telefon zwischen dem Müll nicht. Er wollte seine Mutter nicht entmündigen, sondern nur für kurze Zeit aus der Wohnung holen - "um endlich aufzuräumen". Doch die Behörden hätten die Augen zugemacht.

Die Nachbarn bekamen von dem Desaster kaum etwas mit. Irmgard Sch. bemühte sich gekonnt, ihre Krankheit zu verbergen, ging gestützt auf ihrem Rollator regelmäßig zum Friseur und kleidete sich adrett. Die 84-Jährige besuchte Gottesdienste, lebte aber ansonsten sehr zurückgezogen.

Am 9. Juli wurden zum ersten Mal Polizei, Rettungswagen und Feuerwehr in die Wohnung gerufen. Bekannte hatten die Frau tagelang nicht gesehen und sich Sorgen gemacht. Irmgard Sch. war wohlauf. Am 11. August folgte der zweite Notruf. Irmgard Sch. hatte ihre Jalousien nicht hochgezogen, wieder vermutete eine Bekannte einen Notfall. Die Feuerwehr brach die Tür auf, Polizisten fanden die 84-Jährige tot im Gäste-WC. Dort hatte sie mehrere Tage gelegen. Als die Bestatter kamen, mussten sie den Sarg vor der Haustür stehen lassen. Zwischen dem Müll war kein Platz dafür.