Bürger in Wietze und Neustrelitz protestieren gegen geplante gigantische Mastanlagen. Kritiker fürchten Luftbelastung durch Ammoniak.

Wietze/Neustrelitz. Geflügelfleisch gilt als gesund, die Bundesbürger kurbeln mit jedem Griff ins Kühlregal der Supermärkte den Absatz an. Mit der Kehrseite dieser Entwicklung haben sich gestern in der Turnhalle der Hauptschule Wietze auf Einladung der Gewerbeaufsicht aufgebrachte Bürger mit Vertretern der Agrarindustrie gestritten. In der 8000-Einwohner-Gemeinde soll ein Schlachthof der Superlative für Masthähnchen gebaut werden. Das Ehepaar Schönherr aus dem Nachbarort brachte seine Sorgen darüber bei der Versammlung auf den Punkt: "Dieser Irrsinn, diese Größe, das sehen wir nicht ein."

Die Dimension des Projekts ist es aber auch, die im örtlichen Gemeinderat auf breite Zustimmung gestoßen ist. Nur ein Grünen-Abgeordneter hat dort gegen das Projekt gestimmt. 40 Millionen Euro will das Unternehmen Emsland Frischgeflügel investieren, schon die erste Ausbaustufe bringt 250 Dauerarbeitsplätze. Im Endausbau geht es sogar um 1000 Arbeitsplätze.

Zudem wirbt das Unternehmen bei den Landwirten um Zulieferer. Sie sollen bis zu acht Millionen Mastplätze schaffen, um für den nötigen Nachschub zu sorgen. Emsland-Geschäftsführer Wilfried Fleming verwies gestern ausdrücklich auf die positiven wirtschaftlichen Effekte der Neuansiedlung: "Wir wollen am wachsenden Hähnchenmarkt in Deutschland und im benachbarten Europa teilhaben."

Ähnlich argumentiert Wietzes Bürgermeister Wolfgang Klußmann, er verweist ausdrücklich auf die leere Gemeindekasse, hofft auf steigende Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Der neue Schlachthof, so seine Einschätzung, wäre die größte Gewerbeansiedlung im Kreis Celle seit Jahrzehnten.

Rund 50 von insgesamt über 250 Einwendern waren gestern zum Erörterungstermin gekommen. Sie machen Front gegen die Agrarindustrie, fürchten die Luftbelastung durch Ammoniak, wenn im Umfeld Hunderte von Ställen für jeweils rund 40 000 Hühner gebaut werden. Der geplante Brunnen für den Schlachthof werde zu einer Absenkung des Grundwasserspiegels führen, hinzu komme wachsender Lastwagenverkehr - und das alles mitten in einer Region, die auf den Tourismus setzt. Ihr Slogan: Die Autobahn 7, an der der Schlachthof gebaut werden soll, dürfe nicht zum "Hähnchen-Highway" werden.

Die besorgten Anwohner stehen nicht allein, sondern werden von Tierschutzgruppen unterstützt. Das gilt nicht nur in Wietze, sondern auch in Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern. Hier will ein niederländischer Investor eine Riesenmastanlage für 400 000 Hühner bauen. Die Deutsche Wildtier-Stiftung in Hamburg kritisierte gestern, in solchen agrarindustriellen Anlagen würden die Tiere gequält, 25 Hähnchen müssten mit einem Quadratmeter auskommen. Und wie in Wietze fürchtet auch hier die Tourismuswirtschaft um die Attraktivität der Region. Das nur fünf Kilometer entfernte liegende Parkhotel Schloss Rattey will notfalls gegen die Mastanlage klagen.

Für den Wietzer Großschlachthof setzt sich dagegen massiv das Landwirtschaftsministerium in Hannover ein. Hier hat man vor Monaten sogar einen Erlass herausgegeben, der es ermöglichen sollte, in der waldreichen Region Celle die Mastställe direkt neben Wäldern zu errichten. Diesen Erlass allerdings hat das Ministerium zurückgezogen weil er Bundesrecht brach.

Aber das Ministerium unterstützt die Ansiedlung in Wietze mit Steuermillionen, zum Beispiel für die Erschließung des Geländes.

Gert Hahne, Sprecher des Landwirtschaftsminis- teriums, verweist darauf, dass in der am stärksten landwirtschaftlich geprägten Region des Landes, Weser-Ems, inzwischen die Flächen für Neuansiedlungen knapp werden. "Wir begrüßen es, wenn jemand qualitativ hochwertige Arbeitsplätze hier in Niedersachsen schafft und nicht in Polen." Tatsächlich ist Niedersachsen das Bundesland mit der intensivsten Landwirtschaft. Die Folge: Gemessen an der Einwohnerzahl bekommt kein anderes Bundesland vergleichbar hohe Zuschüsse der EU. Im vergangenen Jahr waren es 1,22 Milliarden Euro. Und die Region Weser-Ems hat in Niedersachsen die mit Abstand niedrigste Arbeitslosenquote.