Die Kammer sieht im Fall von Sarah T. keinen Grund für eine Einmalzahlung in Höhe von 7,2 Millionen Euro. Jetzt spricht der Anwalt.

Hamburg. Sarah T., eine junge Frau aus Buchholz, sitzt seit einem Verkehrsunfall vor vier Jahren im Rollstuhl. Die 23-Jährige ist geistig behindert, spastisch gelähmt, benötigt Pflege - rund um die Uhr, ihr Leben lang. Von der Generali-Versicherung, der Haftpflichtversicherung des Unfallwagens, hat ihre Mutter Brigitte T. stellvertretend 7,2 Millionen Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld gefordert - mit der Summe sollen auch die Pflegekosten gedeckt werden. Seit Anfang Juni wird der Fall vor der zweiten Zivilkammer des Landgerichts verhandelt - und zwar so, dass der Anwalt von Sarah T. schwere Vorwürfe im Abendblatt erhebt.

Bereits in der ersten mündlichen Verhandlung vertrat die Kammer unter Vorsitz von Richterin Maren Lippold die Ansicht, dass sie einen "wichtigen Grund" für eine Einmalzahlung nach Paragraf 843 Absatz 3 BGB nicht erkenne. Stattdessen schlug sie ein Vergleichsangebot vor - 1,2 Millionen Euro sofort, außerdem eine monatliche lebenslange Rente, die an Sarahs steigenden Pflegebedarf angepasst wird. Das sei die denkbar günstigste Variante, argumentierte Richterin Lippold. "Für Sie entsteht ein stressfreier Raum. Sie müssen nie wieder einen Briefwechsel mit der Versicherung führen."

Ein schwerer verfahrenstaktischer Fehler, findet Sarah T.s Anwalt Jürgen Hennemann. In einem Schriftsatz, der dem Hamburger Abendblatt vorliegt, greift er die Prozessführung der Kammer scharf an. Sie habe sich übereilt und einseitig zugunsten der von der Generali-Versicherung vertretenen Rechtsansicht positioniert. Dadurch habe die Kammer "jegliche Chance im Hinblick auf eine möglicherweise gütliche Einigung der Parteien ohne Not verspielt" und "eine Annäherung der Prozessparteien nahezu bewusst und zielgerichtet unmöglich gemacht".

Vor vier Jahren war Sarah T. auf der Brenner-Autobahn unterwegs. In der Nähe von Roverto verlor ihr Mann aus ungeklärter Ursache die Kontrolle über den Wagen, raste in eine Leitplanke. Sie erlitt etliche Knochenbrüche und einen schweren Hirnschaden. Betreut wird die 23-Jährige seitdem von ihrer Mutter Brigitte T. (56), die mit Sarah und deren Sohn (5) in einer nicht behindertengerechten Wohnung in Buchholz lebt. Sollte Sarah T. den Prozess gegen die Generali gewinnen, müsste das Unternehmen eine der höchsten Versicherungssummen bereitstellen, die jemals in Deutschland gezahlt worden sind.

Hennemann kritisiert auch das Gebaren des Versicherers. Generali hatte beim ersten Termin angekündigt, dem Fachanwalt für Versicherungsrecht den Entwurf eines angepassten Ratenzahlungsmodells zur Prüfung zu schicken. "Passiert ist bislang nichts", so der Anwalt aus Buchholz. "Offenbar fühlt sich die Generali wieder einmal bei der zweiten Zivilkammer bestens aufgehoben und setzt ihre Blockadepolitik fort".

Für das Landgericht sind Hennemanns Vorwürfe gegen die Kammer irritierend. "Trotzdem ist es das gute Recht des Anwalts, die Rechtsaufassung der Kammer zu kritisieren", sagte eine Gerichtssprecherin. Zudem sei es üblich und vom Gesetzgeber auch so vorgesehen, dass das Gericht zu einem frühen Zeitpunkt seine Rechtsauffassung deutlich mache, damit die Prozessparteien schnell zu einer Einigung kommen.