Wahl im Norden mischt die Karten für die Kampagnen von Angela Merkel und Peer Steinbrück noch einmal neu. McAllister wirbt auch für die FDP.

Hannover. David McAllister machte am Freitagabend in der Wilhelmshavener Stadthalle gekonnt den Einheizer für Angela Merkel, sein Kontrahent Stephan Weil hielt es in der Emder Nordseehalle nicht anders für Peer Steinbrück. Der Schlussspurt im Wahlkampf in Niedersachsen hat begonnen. Wenn am 20. Januar die Stimmen ausgezählt sind und klar ist, ob der CDU-Ministerpräsident McAllister dem SPD-Herausforderer Weil weichen muss, dann sehen auch die CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr SPD-Herausforderer sehr viel klarer. Die Niedersachsenwahl ist weit mehr als ein Stimmungstest, sondern geeignet, Trends zu festigen, aber auch umzukehren.

Als der CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen im Frühjahr 2012 vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen die Entscheidung an Rhein und Ruhr zur Schicksalsfrage auch für die Kanzlerin erklärte, war das der Anfang vom Ende seiner Karriere. Schon durch die große Zahl ihrer Auftritte und den engen Schulterschluss mit McAllister zeigt die Kanzlerin aber jetzt, dass es in Niedersachsen tatsächlich auch um die Macht im Bund geht, und dies bei ganz ähnlichen Vorzeichen.

McAllister liegt in allen Umfragen ähnlich deutlich vor Weil wie Merkel vor Steinbrück: Wenn das Land dennoch die Grundfarbe von Schwarz auf Rot wechselt, weil die FDP anhaltend schwächelt, dann heißt dies eben auch, dass es nicht unbedingt und immer auf die Kanzlerin ankommt, die sich mächtig reinhängt in den Wahlkampf zwischen Nordsee und Harz.

Die CDU weit vor der SPD, aber Rot-Grün stärker als Schwarz-Gelb, so verheißen es die Umfragen in Niedersachsen seit jetzt einem Jahr durchgängig, und an der Landespolitik kann das eigentlich nicht liegen. Die Zufriedenheitswerte mit der CDU/FDP-Koalition sind gut, und dennoch reicht es derzeit nicht. McAllister und noch mehr sein Regierungspartner Stefan Birkner, Umweltminister und FDP-Spitzenkandidat, werden in dieser Woche seufzend vor allem die Seite 16 der Analyse des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap gelesen haben. Danach halten 47 Prozent der Wähler die Bundespolitik bei ihrer Wahlentscheidung am 20. Januar für den Landtag im Leineschloss in Hannover für mindestens ebenso bedeutsam wie das, was im Land passiert - weit mehr als noch vor fünf Jahren, als CDU und FDP zusammen fast 51 Prozent der Wählerstimmen erhielten.

Immerhin: Die aktuelle Umfrage sieht die FDP bei vier und nicht mehr bei drei Prozent, McAllister hat deshalb auf dem Neujahrsempfang der CDU in Hannover halblaut seiner Klientel empfohlen, dem schwächelnden Partner über die Fünfprozenthürde zu helfen. Ein Manöver nicht ohne Risiken: Die Meinungsforscher haben als Hauptproblem der gegenwärtigen Landesregierung das "schlechte Image des Bündnisses mit der FDP" ausgemacht. Was am Bündnis im Land nicht liegen kann: Seit der gemeinsamen Regierungsübernahme 2003 arbeiten die Partner fast geräuschlos zusammen.

Klappt es nicht mit der Mehrheit, dann wird FDP-Spitzenmann Birkner wohl wieder als Jurist in den Staatsdienst zurückkehren. Und wegen seines ausgeprägten Harmoniebedürfnisses wird er wohl auch am Wahlabend darauf verzichten, das Offensichtliche auszusprechen: Dass nämlich die Bundespartei der Niedersachsen-FDP die Sache verhagelt hat mit ihren Lieferschwierigkeiten bei dem Versuch, die Liberalen mit Erfolgen in Szene zu setzen. Im eigenen Landesverband hat der Bundesvorsitzende Philipp Rösler immer noch, was ihm auf Bundesebene längst abhandengekommen ist: loyale Freunde.

CDU-Prominenz im Dutzend bevölkert an diesem Wochenende die Säle in Niedersachsen, schließlich ist in Wilhelmshaven eine Klausurtagung des CDU-Bundesvorstandes angesetzt, und dann kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Wahlkampf machen im Nieselregen und eine "Wilhelmshavener Erklärung" verabschieden, die die Entscheidung auf Bundesebene im September zur Richtungswahl hochstilisiert und ansonsten altbekannte Standpunkte bekräftigt. Auffallend allerdings ist, dass der Koalitionspartner FDP im Entwurf der Wilhelmshavener Erklärung gar nicht auftaucht.

Ob das Sinn hat, darauf wird vielleicht schon die Niedersachsen-Wahl die Antwort geben. Auf Landes- wie Bundesebene ist die Ausgangslage gleich: Die CDU liegt in Umfragen weit vorn mit 40 Prozent, die FDP dagegen bei vier Prozent. CSU-Chef Horst Seehofer betätigt sich bereits als Vordenker für den Fall, dass die FDP erst in Niedersachsen und dann auf Bundesebene scheitert, und will ein Bündnis mit den Grünen nicht ausschließen. "Falls die FDP nach der Wahl nicht zur Verfügung stehen sollte, müsste die Union mit anderen Parteien reden."

In der niedersächsischen FDP sorgen sie sich derweil schon, was denn aus "ihrem" Philipp Rösler werden soll, wenn er nach einer verlorenen Landtagswahl seinen Posten als Bundesvorsitzender räumen muss. Zwar ist er auch Bundeswirtschaftsminister, aber er agiert ohne Bundestagsmandat und damit ohne Netz. Mit erst 35 Jahren hat er vor fünf Jahren vollmundig angekündigt, nach weiteren zehn Jahren wolle er aus der Politik aussteigen.

Nun hängt sein politisches Überleben daran, ob sein enger persönlicher Freund David McAllister der FDP in Niedersachsen tatsächlich mit Leihstimmen über die Fünfprozenthürde hilft und dem promovierten Augenarzt wenigstens eine Atempause verschafft in der Auseinandersetzung mit seinen parteiinternen Kritikern. Die haben sich allesamt bereits um den Hebel für die Notbremse versammelt. Röslers Rede beim Dreikönigstreffen in Stuttgart an diesem Sonntag muss wenigstens dafür sorgen, dass bis zum Wahlsonntag in Niedersachsen abends um 18 Uhr Ruhe einkehrt bei den Liberalen. Es kommt schließlich für die FDP buchstäblich auf jede Stimme an.

Eben weil die Niedersachsen-Wahl Trends setzen und umkehren kann, wird das Leineschloss am Wahlabend aus allen Nähten platzen. Aber auch im benachbarten Hessen werden Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und sein SPD-Herausforderer Thorsten Schäfer-Gümbel ihre Rechnungen erst aufmachen können, wenn die Stimmen ausgezählt sind. Zur Jahreswende wird in Hessen gewählt, auch dort kämpft ein schwarz-gelbes Bündnis um den Machterhalt. Was angesichts der Fokussierung auf die bundespolitischen Folgen der Niedersachsen-Wahl fast zu kurz kommt: Ein Machtwechsel in Hannover hätte auch ganz handfeste Auswirkungen vor Ort: Für die Bauern mit Massentierhaltung würden sicherlich harte Zeiten anbrechen, die Studenten im Land könnten mit der Abschaffung der Studiengebühren rechnen. Und im jahrzehntealten Schulkrieg stünde eine neue Runde an: Die Niedersachsen haben die Wahl.