Sozialverbände warnen: “Kochen gehört in die eigenen vier Wände.“ Bedürftige werden zu Bittstellern.

Lüneburg. Die Politik hatte den Auftrag gegeben: Lüneburgs Stadtverwaltung sollte prüfen, wie Bedürftige ein bezuschusstes Mittagessen bekommen können. Anfang nächsten Jahres könnte so ein Angebot starten. Aber: Der Sinn eines Mittagstischs wird durchaus kontrovers diskutiert, Wohlfahrtsverbände haben Vorbehalte.

Der Geschäftsführer des Caritasverbands, Berthold Schweers, sieht sich in einem Dilemma: "Die wirtschaftliche Not ist da." Konkrete Nothilfe sei gut. Aber: "Wir gewöhnen die Menschen daran, regelmäßig zum Mittagstisch zu gehen." Eigentlich müsse das Ziel sein, sie aus der Bittsteller-Position rauszuholen und unabhängig von Angeboten wie einem Mittagstisch zu machen. "Essenkochen gehört in die eigenen vier Wände."

Auf Aufforderung der Stadt hat Schweers dennoch ein Konzept bei der Verwaltung abgeliefert, in Kaltenmoor und am Bockelsberg ein solches Angebot einzurichten. Mit rund 50 000 Euro Anfangsinvestition und jährlich weiteren 50 000 Euro Kosten rechnet der Caritasverband.

Grundsätzlich tut sich der Diplom-Sozialpädagoge aber schwer mit der Idee: "Die Konsequenz ist: Wer nicht gelernt hat, gesund und abwechslungsreich zu kochen, lernt das nie mehr." So greifen laut Schweers viele Familien am Ende des Monats zu Tütensuppen zurück - ohne aber zu wissen, dass die mit ein bisschen frischem Gemüse durchaus gesund und nahrhaft werden können. Kostenlose Kochkurse, wie die Stadt sie bereits einmal angeboten hat, hält Schweers deshalb für sinnvoller, als den Menschen das Kochen aus der Hand zu nehmen.

Das Grundproblem sei der zu geringe Regelsatz für Nahrung, ein bundespolitisches Thema, sagt Schweers. "Wir schaffen armutsfeste Strukturen, die können sich manifestieren. Das bereuen wir vielleicht irgendwann."

Die Geschichte der Stadt zeigt laut Caritas-Chef zudem, dass solche Angebote selten angenommen werden: "Es gab häufiger Armenküchen in Lüneburg, zum Beispiel im Glockenhaus. Die wurden aber mangels Masse eingestellt: Die Bürger sagten sich, ich will nicht arm sein und dazugehören." Auch diese Gefahr bestehe, wenn die Stadt ein Angebot komplett neu aufbaue: "Das hätte Großküchendimension, und dann kommen vielleicht nur zehn Leute", gibt Schweers zu bedenken. "Dann ist da noch die Finanzierungsfrage, und allgemein: Wollen wir das eigentlich? Oder werden wir an falscher Stelle aktiv?"

Für Stefan Buchholz, Leiter der Herberge plus Beim Benedikt, sollte ein solches Angebot nur zeitlich begrenzt sein: "Viele Menschen sind zeitweilig nicht in der Lage, sich Essen zuzubereiten, dann kann ein Mittagstisch hilfreich sein. Es muss aber immer darum gehen, dass die Leute wieder selbstständig werden, dass man ihnen also zum Beispiel Anleitungen zum Kochen gibt. Die Angebote müssten sich ergänzen."

Wolfgang Klose, beim Paritätischen Wohlfahrtsverband für das Essen auf Rädern zuständig, sieht organisatorische Probleme: "Wer macht es, wer bekommt es, wo gibt es das", zählt der stellvertretende Geschäftsführer seine Fragen auf. "Man tritt da vieles los. Die Leute sollen aber lernen, günstig einzukaufen und zu kochen. Mit Belieferung ändert man kein grundsätzliches Verhalten."

Marina Kroll und Jürgen Luxemburger von der Lüneburger Tafel sehen das ähnlich. "Für Obdachlose ist die Idee vom Grundsatz her gut", sagen sie. "Unsere Kunden aber sind zum großen Teil intakte Familien, die die Möglichkeit zum Kochen zu Hause haben. Da ist es wichtig, dass das auch zu Hause passiert." Besser als eine Versorgung von außen seien "Anleitungen und Hilfestellungen, sich selbst zu versorgen".

Berthold Schweers vom Caritasverband jedenfalls konnte sich anlässlich des 100 000. Essens eines ähnlichen Angebots kürzlich in Verden nicht recht freuen: "Da entwickelt sich etwas, wohin ich in Lüneburg nicht möchte. Wir machen die Bürger abhängig von staatlichen Hilfen, die nicht gut sind."