Die Tote vom Golfplatz Großensee ist die 18 Jahre alte Kurdin Arzu Ö. Ihre fünf Geschwister sitzen nun in Untersuchungshaft.

Großensee. Sie hatte sich ihre Haare kurz geschnitten und rotblond gefärbt. Weil sie oft die Schule schwänzte, hatte sie ihre mittlere Reife verpatzt. Sie jobbte in einer Bäckerei in Detmold und hatte sich dort in den fünf Jahre älteren Gesellen Alex verguckt. Sie war das erste Mal verliebt. Weil das in den Augen ihrer kurdischen Familie eine verbotene Liebe war, glaubt die Polizei, durfte Arzu Ö. nur 18 Jahre alt werden. Wurde sie Opfer eines "Ehrenmordes"?

Am Freitagmorgen fand der Platzwart des Golfclubs Großensee die Leiche einer jungen Frau - nur 150 Meter entfernt von Loch 2. "Nach dem jetzigen Ermittlungsstand gehen wir davon aus, dass es sich bei der Toten um Arzu Ö. handelt", sagte gestern Uwe Bauer, Sprecher der Polizei Lippe, dem Abendblatt. Das Obduktionsergebnis deutet daraufhin, dass die Frau eines gewaltsmen Todes gestorben ist.

Seit zehn Wochen wurde Arzu Ö. vermisst. In der Nacht zum 1. November ist sie zu ihrem Freund in die Detmolder Talstraße gegangen. Schon in den Monaten zuvor muss sie in ihrer Familie Furchtbares durchgemacht haben. Am 17. August war die junge Frau auf dem Heimweg von ihrem Freund von einem unbekannten Pärchen verprügelt worden. Ende August ist ein Fall "häuslicher Gewalt" aktenkundig, sagt Kriminalhauptkommissar Jürgen Heinz, Leiter der Sonderkommission "Talstraße". Arzu soll von ihrem Vater und einem ihrer Brüder vor versammelter Familie zusammengeschlagen worden sein. Arzu ging zur Polizei, wurde in einem Frauenhaus untergebracht, bekam einen neuen Namen und Papiere. Und habe laut einer Mitbewohnerin weiterhin Todesangst gehabt. Ihre Geschwister hätten versucht, sie mit E-Mails nach Hause zu locken. Arzu hat fünf ältere Geschwister. Vier Brüder und eine Schwester, die bei der Detmolder Stadtverwaltung arbeitet. Alle fünf sitzen seit November in Untersuchungshaft - und schweigen. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet: Entführung von Arzu.

Es ist 1.30 Uhr in der Nacht des 1. November, als fünf Menschen in die Wohnung von Axel in der Talstraße drängen. Dem Bäckergesellen wird ein Finger gebrochen, er und zwei Freunde werden mit einer Waffe bedroht, seine Freundin Arzu wird verschleppt. Seitdem fehlte von ihr jede Spur. Weil mehrere Zeugen in der fraglichen Tatnacht Schüsse in einem bewaldeten Gebiet südlich von Detmold gehört haben, durchkämmen eine Hundertschaft und Spürhunde das Waldgebiet bei Remminghausen. Ohne Ergebnis. Auch ein Aufruf in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" bleibt ohne Erfolg.

+++ Wider den "Ehrenmord" +++

+++ Tote vom Großenseer Golfplatz ist eine 18-jährige Kurdin +++

+++ An Loch 2 gefunden: Rätsel um tote Frau am Golfplatz +++

Die kurdische Familie Ö. stammt aus einem 300-Einwohner-Dorf im Süden der Türkei. Großeltern, Eltern und Kinder leben seit 25 Jahren in Deutschland. "Die Familie ist eigentlich ein Paradebeispiel für eine gelungene Integration", sagt Detlev Binder. Er ist der Anwalt von Kemal, Arzus Bruder. "Alle sind zur Schule gegangen, haben eine Ausbildung und Arbeit."

Im Dezember erhöhte die Staatsanwaltschaft den Druck auf die Verdächtigen. "Der Haftbefehl lautet jetzt auf Geiselnahme mit Todesfolge, weil sich nach sechs Wochen der Eindruck aufdrängt, dass Arzu tot ist", sagte Staatsanwalt Michael Kempkes. Er wird sich in einigen Tagen zum neuesten Stand der Ermittlungen äußern.

Kemal hatte in einer Vernehmung eingeräumt, dass die Geschwister Arzu den Kopf waschen wollten. An der Entführung habe er aber nicht teilgenommen. Auf die Frage, ob er Arzu getötet habe, habe er gesagt: "Nein, das ist doch unsere Schwester", und dabei geweint.

Die Familie Ö. gehört zur Glaubensrichtung der Jesiden. Ihre Religion ist monotheistisch (Gott erschuf die Welt aus einer Perle). Das Jesidentum ist keine missionierende Religion. Man wird als Jeside geboren. Grundsätzlich bedeutet die Heirat mit Andersgläubigen den Austritt aus der Religionsgemeinschaft. Jesiden glauben nicht an die Existenz des Teufels, weil das die Allmacht Gottes einschränken würde. Sie sprechen den Namen des Bösen (arabisch: Schaitan) nicht aus.

Auch Ali Barakat, der im Dezember in Stolzenau im Landkreis Nienburg seine 13-jährige Tochter Souzan auf der Straße erschossenen hat und immer noch auf der Flucht ist, ist Jeside. "Es gibt im Jesidentum keinen ,Ehrenmord'", sagt der Zentralrat. Bei der Beerdigung von Souzan hatte eine kurdische Fraueninitiative aus Hannover Handzettel verteilt. Der Mord beruhe auf einer "rückständigen und patriarchalen Mentalität". Souzans Tod zeige, "dass es notwendig ist, die Kulturirrtümer als das zu verstehen, was sie sind: Verbrechen gegen die Menschlichkeit".