Der Rechtsstaat muss mehr tun, um Verbrechen wie gegen Arzu Ö. zu verhindern

Noch sind die Fakten nicht gerichtsfest. Aber viele Indizien deuten darauf hin: Die 18 Jahre alte Kurdin Arzu Ö., deren Leiche auf einem Golfplatz in Großensee (Schleswig-Holstein) gefunden wurde, musste sterben, weil ihre Familie ihr den hierzulande üblichen Lebensstil nicht zubilligen wollte. Die fünf älteren Geschwister der vor zweieinhalb Monaten verschleppten Frau sitzen in Untersuchungshaft. Haben wir es wieder mit einem Ehrenmord zu tun? Einem verabscheuungswürdigen Verbrechen, das nach unserem Verständnis eigentlich überhaupt nichts mit "Ehre" zu tun hat? Kann unser Rechtsstaat solche Verbrechen nicht endlich verhindern?

Weltweit werden nach Schätzungen der Uno jedes Jahr 5000 Frauen oder Mädchen ermordet, weil sie nach Auffassung ihrer Familie gegen einen ungeschriebenen, aber in der Tradition verankerten Verhaltenskodex verstoßen haben. Dahinter steckt eine abstruse Vorstellung. Denn der angebliche Gesichtsverlust, den die Familie durch das ihrer Meinung nach "unsittliche" Verhalten erlitten hat, wird erst durch die Tötung des abtrünnigen Mitglieds wettgemacht. Arzu Ö. war aus der Wohnung ihres Freundes in Detmold (NRW) verschleppt worden, eines Bäckergesellen, der nicht dem jesidischen Glaubenskreis angehört und damit als Ungläubiger gilt. Schlimmer noch, die Verbindung zu einem Nichtjesiden führt nach der archaischen Ansicht der Traditionsgläubigen automatisch zum Ausschluss aus ihrer Gemeinschaft.

Ehrenmorde sind hierzulande ein Problem, seit der Islam und ihm verwandte Glaubensrichtungen zu Deutschland gehören. Nach einer aktuellen Studie des Max-Planck-Instituts im Auftrag des Bundesinnenministeriums gab es zwischen 1996 und 2005 in der Bundesrepublik 109 Opfer sogenannter Ehrenmorde. 93 Prozent der Täter waren Männer. Die meisten Getöteten sind zwar Frauen, aber immerhin 43 Prozent der Opfer waren männlich. Es ist also nicht nur, wie oft dargestellt, ein Kampf Mann gegen Frau. Eine weitere bedeutende Erkenntnis: Fast alle verurteilten Täter (91 Prozent) waren außerhalb Deutschlands geboren. Aus der hier aufgewachsenen zweiten Einwanderergeneration kommen die Täter (zu 9 Prozent) nur höchst selten.

Gerade der letzte Aspekt ist ein kleiner, aber hoffnungsvoller Lichtblick in dieser düsteren Angelegenheit. Denn es besteht die Hoffnung, der Mordwelle Einhalt zu gebieten. Das aber wird nicht von allein geschehen, quasi als Nebeneffekt der Nachfolgegenerationen, die sich immer stärker liberalen und demokratischen Werten öffnen. Eine Entwicklung aus dem Teufelskreis der Ehrenmorde ist kein Selbstgänger. Vielmehr muss der Rechtsstaat diesen Weg unter Aufbietung größter Anstrengungen ebnen. Um die Ermittlungsebene zu stärken, braucht die Polizei bessere Kenntnisse über die kulturellen Eigenarten und Hintergründe der betroffenen Emigrantengruppen.

Ebenso wichtig ist eine effektive Vorbeugung. Hier haben die Großstädte und Metropolregionen eine herausragende Verantwortung. Denn in ihnen leben die meisten Angehörigen fremder Kulturen, viele oft zu isoliert und von der übrigen Gesellschaft abgekapselt. Auch viele Schulen müssen, was die Werte-Erziehung angeht, noch zulegen. In Berlin war der Tod der 23-jährigen Hatun Sürücü, die auf der Straße erschossen worden war, der traurige Anlass dafür, dass der Senat kurze Zeit später das Pflichtfach Ethikunterricht in den Schulen durchsetzte.

Allen, die mit den Mördern paktieren, muss die Stirn geboten werden. Seien es Familienangehörige, die den Täter decken, oder Länder wie die Türkei, die trotz internationalen Haftbefehls keine eigenen Staatsbürger ausliefert. Es gibt noch viel zu tun, um Schicksale wie das von Arzu Ö. in Zukunft zu verhindern.

Der Autor ist verantwortlich für die Meinungsseite des Abendblatts