Umweltverbände klagen gegen Bundesnaturschutzamt, weil in den Reservaten in Nord- und Ostsee die Fischerei nicht eingeschränkt wird.

Hamburg/Köln. Die Meeresumwelt war der rot-grünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder wichtig – im Mai 2004 reichte sie bei der EU-Kommission zehn Gebiete in Nord- und Ostsee ein, die nach EU-Regeln besonders geschützt werden sollen – 2007 wurden diese offiziell zu Natura-2000-Gebieten. Doch das hat die bedrohten Meeresbewohner bislang nicht entlastet. Sieben große Umweltverbände, darunter BUND, Greenpeace, Nabu und WWF, reichten am Dienstag Klage am Verwaltungsgericht Köln ein: Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) soll als zuständige Behörde dafür sorgen, dass formal überfällige Schutzmaßnahmen für Schweinswale, Seevögel, Sandbänke und Riffe (wertvolle Lebensräume) endlich eingeführt werden.

Bis Ende 2013, so schreiben es die EU-Regeln vor, hätte Deutschland Vorschläge in Brüssel einreichen sollen, wie es die in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) liegenden Schutzgebiete managen will. Dies ist bis heute nicht geschehen. Als größte Belastung der Ökosysteme in Nord- und Ostsee gilt der Fischfang. Zwar haben die beteiligten Fachbehörden, das BfN und das für Fischerei-Forschung zuständige Thünen-Institut, schon 2011 gemeinsam Vorschläge erarbeitet, wie der Fang in den Gebieten beschränkt werden könnte. Doch seitdem „liegen die vorgeschlagenen Maßnahmen auf ministerieller Ebene auf Eis“, kritisieren die Umweltverbände.

Landwirtschaftsministerium der „größte Bremser“

Der große Bremser sei das für die Fischerei zuständige Landwirtschaftsministerium (BMEL), sagen die Umweltschützer. Das kontert: „Der Entwurf der Schutzgebietsverordnung durch das Bundesumweltministerium (dies betrifft sämtliche Maßnahmen zur Umsetzung der Schutzziele, nicht nur die Fischerei) liegt immer noch nicht vor. Insofern ist die Behauptung, das BMEL würde das Verfahren verzögern, nicht nachvollziehbar.“

Flora und Fauna in den Natura-2000-Gebieten seien den menschlichen Eingriffen weiterhin schutzlos ausgeliefert, kritisieren die klagenden Verbände. Besonders die Fischerei mit Grundschlepp- oder Stellnetzen richtet ökologischen Schaden an, das zeigte eine Untersuchung des Kieler Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung im Auftrag des BfN. Gerade Grundschleppnetze mit Vorrichtungen, die Muscheln ausgraben oder Plattfische aufscheuchen, dringen 15 Zentimeter und tiefer in den Meeresboden ein und zerstören die Lebensgemeinschaft am Meeresgrund.

Wie schnell sich die Bodenbewohner von den Schleppnetzattacken erholen, hänge von den betroffenen Arten ab, so die Forscher. Langsam wachsende Tiere, etwa Schwämme, benötigten mehrere Jahre. Empfindliche langlebige Arten wie Muscheln und Seeigel litten stärker als schnell wachsende, anpassungsfähige Arten (Seesterne, Borstenwürmer u. a.). Nach Angaben des Internationalen Rats für Meeresforschung (ICES) lag die Gesamtmasse an Bodenbewohnern in der zentralen südlichen Nordsee, die intensiv befischt wird, 39 Prozent niedriger als im „unbefischtem“ Zustand.

Auch Fangnetze, die im Meer aufgestellt sind, machen Probleme. Denn Seevögel, die nach Fischen tauchen, sowie Schweinswale verheddern sich in den Maschen und ertrinken. Untersuchungen der Hamburger Biologin Dr.Helena Feindt-Herr, heute im Thünen-Institut für Seefischerei tätig, ergaben 2009, dass rund die Hälfte der an der Ostseeküste tot aufgefundenen Schweinswale als Beifang starben. Gerade der Schweinswalbestand der zentralen Ostsee kann keinen Aderlass verkraften. Die Zahl der Tiere wird auf rund 450 geschätzt – der Bestand gilt als vom Aussterben bedroht.

Verluste gibt es auch unter den Meeresenten

Deutliche Verluste gibt es auch unter den Meeresenten: „Einst charakteristische Arten in der Ostsee wie Berg-, Eider- und Eisente sind seit 1995 um mehr als 60 Prozent zurückgegangen“, heißt es in einem Papier der Umweltverbände. Auch Lumme, Pracht- und Sterntaucher seien in Gefahr, betonte bereits 2012 der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in einer Stellungnahme zum deutschen Meeresnaturschutz. SRU-Mitglied Prof. Manfred Niekisch, Direktor des Frankfurter Zoos, forderte damals: „In Naturschutzgebieten muss der Naturschutz grundsätzlich Vorrang vor den Fischereizielen haben. Alles andere wäre in einem Naturschutzgebiet schwer nachvollziehbar.“

Das BfN wird dies womöglich ähnlich sehen. Es will sich zur Klage der Umweltverbände nicht äußern, sondern verweist an die Ministerien: Sie müssen die Vorschläge zur Schutzgebietsverordnung bei der EU-Kommission einreichen, die diese dann mit den Nachbarstaaten abstimmt. Denn Fischereipolitik wird generell von der EU und nicht von den Nationalstaaten gemacht. Erst wenn Brüssel grünes Licht gibt, könnten die Maßnahmen umgesetzt werden. Aber so weit ist Deutschland noch nicht. Vielmehr wartet auch Brüssel auf die überfälligen Vorschläge. „Die Kommission prüft die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahren“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen.

Die Klage müsse sich formal gegen das Naturschutzamt richten, dabei sei das Amt eigentlich gar nicht gemeint, sondern die uneinigen Ministerien, sagt Thilo Maack, Meeresbiologe bei Greenpeace. Schließlich kämpfe auch das BfN für Maßnahmen in den Meeresschutzgebieten. Im Oktober 2014 präsentierte es eine Studie der Kieler Geomar-Forscher, nach der die Beschränkung von Fischerei in Schutzgebieten nicht nur den Meeren, sondern langfristig auch den Fischern zugute kommt.

BfN-Präsidentin Prof. Beate Jessel sagte dazu: „Maßnahmen zur Regulierung der Fischerei verbessern den Zustand der Meeresökosysteme nachhaltig. (...) Schutzgebiete bringen eine Reihe von ökonomischen Vorteilen für die Fischerei mit sich, zum Beispiel eine stabilere Nachwuchsproduktion und widerstandsfähigere Bestände mit älteren und größeren Fischen. Letztlich kann so auch die Fischerei von Meeresschutzgebieten profitieren.“