Das Standardwerk über Hamburgs Vogelwelt stammt von 1928. Jetzt soll es erneuert werden.

Die Hauptursache für das Überhandnehmen der Sperlingsplage ist die unverdiente Duldung, die den Haus- und Feldsperlingen, den häufigsten unserer Vogelarten, gewährt wird", schreibt die Biologische Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft im März 1938 und fordert dazu auf, mit Sperlingsfallen den Plagegeistern nachzustellen - inklusive Bauanleitung auf einem Info-Blatt. 70 Jahre später verteilen Naturschützer Bauanleitungen für Spatzen-Nisthöhlen. Denn der Haussperling verschwindet zunehmend aus der Stadt.

Dies ist nur ein Beispiel für den Wandel in der Vogelwelt (Avifauna). Entsprechend veraltet ist das "jüngste" Standardwerk "Hamburgs Vogelwelt" - es stammt aus dem Jahr 1928. Ornithologen wollen nun eine Neuauflage herausbringen. Grundlage ist die Datenbank vom Arbeitskreis an der Staatlichen Vogelschutzwarte Hamburg. Sie enthält 1,3 Millionen Beobachtungen (Zählungen einzelner Arten an einem bestimmten Ort), die seit Mitte der 60er-Jahre gesammelt wurden. "Diesen Schatz würden wir gern für die Öffentlichkeit aufbereiten, mit dem Schwerpunkt auf Singvögeln", sagt Alexander Mitschke. Der Hamburger Ornithologe koordiniert den Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA).

Unter den Vögeln gebe es über die Jahrzehnte Gewinner und Verlierer, so Mitschke. Die Haubenlerche zählt zu den Verlierern. Sie "kommt an Straßen und Chausseen, auf sandigen Feldern und brach liegenden Plätzen bis in die Stadt hinein vor", schrieb 1928 Prof. Franz Hugo Dietrich in seinem Buch "Hamburgs Vogelwelt". Er hatte Lerchen sogar in der Innenstadt beobachtet. "Die Haubenlerche ist in diesem oder im vergangenen Jahr definitiv in Hamburg ausgestorben", sagt heute Alexander Mitschke. Ihr letzter Rückzugsraum war das Neubaugebiet Neuallermöhe, das der Lerche sandige Flächen mit spärlicher Vegetation bot, in denen sie Sämereien fand. Die Art war vor 100 Jahren, als sich unbefestigte Straßen wie sandige Adern durch die Landschaft zogen, ein "typischer Chausseevogel".

Ähnlich erging es der Mehlschwalbe : "An der Abnahme der Schwalben in der Stadt ist die Umänderung des Pflasters der Straßen an der Alster (früher chaussiert, jetzt Asphalt) in erster Linie schuld, da es den Schwalben nun an Baumaterial fehlt", schrieb Dietrich vor 80 Jahren über Probleme beim Nestbau. Dennoch hielt sich die Art in der Innenstadt, etwa an den Alsterarkaden. Der Materialknappheit begegnen die Vögel mit Kreativität. Mitschke: "Sie nutzen den Schlamm, der sich in Dachrinnen sammelt und neuerdings auch die Großbaustelle HafenCity. Dort finden sie sandigen Boden, zu erkennen an den hellbraunen Nestern."

Ein weiterer Verlierer ist der Eisvogel . Der metallicblaue Ansitzjäger ist auf klares Wasser angewiesen, damit er kleine Fische erspähen kann. Doch bis in die 70er-Jahre wurden Gewässer immer stärker verschmutzt und verbaut. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden ihm sogar Fallen gestellt, weil er sich manchmal an Fischbrut vergreift. Dietrich prangerte 1928 "die leider auch jetzt hier und da ausgeübte Fangweise mit Tellereisen" an, die "wegen der abscheulichen Tierquälerei mit Recht verboten ist". Inzwischen befindet sich der Eisvogelbestand dank besserer Wasserqualitäten und milderer Winter nach dem Tiefstand der 80er-Jahre auf dem aufsteigenden Ast.

Gewinner sind frühere Waldvögel, die ihre Scheu abgelegt haben und den Baumbestand der Stadt nutzen, wie Amseln , Meisen , Heckenbraunelle und Gimpel . Letztere waren mal Nadelwaldbewohner, brüten deshalb gern in Thuja (Lebensbäume) oder Blaufichten. Schwanzmeisen bauen Kugelnester im Bambus.

Angelockt durch Mülldeponien sind immer mehr Möwen im Inland. In Hamburg gab es sie schon 1928. Über Lachmöwen berichtete Dietrich, dass sich Anfang des 20. Jahrhunderts im Winter 2000 Tiere auf der Alster fanden: "Es war eine Art Sport, sie mit Brot oder auch mit Fischen, die teilweise für zehn Pfennig an der Binnenalster verkauft wurden, zu füttern." Heute werden Möwen von Insassen des Untersuchungsgefängnisses Holstenglacis gefüttert, die Brot aus den Fenstern werfen.

Einen Siegeszug verzeichnet der Austernfischer . Der schwarz-weiße Watvogel bewohnt eigentlich die Küsten, hat sich aber in Hamburg "zu einem Zwitter aus Kiebitz und Amsel" entwickelt. Mehr als 100 Paare brüten im Stadtgebiet, oft auf Flachdächern. Würmer finden sie auf kurz geschorenem Rasen. Weil der bei Trockenheit gesprengt wird, bleiben die Regenwürmer selbst im Hochsommer in der oberen Bodenschicht.