Die zunehmende Naturzerstörung kostet die Menschheit rund zwei Billionen Euro im Jahr. In Bonn beraten 6000 Experten zwei Wochen lang, wie der Teufelskreis noch gestoppt werden kann.

Fischbestände vor dem Kollaps, die weltweiten Wälder vom Aussterben bedroht: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hat zum Auftakt der 9. Uno-Konferenz zur Biodiversität vor den dramatischen Folgen des Artensterbens gewarnt und die Länder der Erde zu mehr Einsatz aufgerufen.

Die Erde stehe angesichts des rapiden Verschwindens von Tier- und Pflanzenarten am Scheideweg, sagte er gestern in Bonn vor mehr als 6000 Delegierten aus 170 Staaten. Das 1992 gesetzte Ziel zur Erhaltung der Artenvielfalt sei kaum noch zu erreichen, kritisierte Gabriel. Die Welt müsse sich entscheiden, ob sie weiter große Mengen Papier mit wenig Inhalt produzieren oder sich endlich ernsthaft der Verantwortung stellen wolle. "Es geht für viele Menschen auf der Erde um das blanke Überleben." Wenn etwa die Überfischung nicht gestoppt werde, werde es 2050 keine kommerzielle Fischerei mehr geben. Damit wäre eine Milliarde Menschen ihrer einzigen Proteinquelle beraubt. "Wir reden hier also auch über Armutsbekämpfung", so der Minister, der in der ersten Sitzung zum Präsidenten der Konferenz bestimmt wurde. Gabriel äußerte sich vor Journalisten "zuversichtlich", dass es substanzielle Fortschritte bei der Konferenz geben werde.

Bei dem zweiwöchigen Treffen von Politikern und Wissenschaftlern aus aller Welt geht es um die Umsetzung der 1992 in Rio de Janeiro verabschiedeten Uno-Konvention (siehe Extratext), den Verlust der biologischen Vielfalt bis 2010 entscheidend zu verringern. Der Umweltminister wies darauf hin, dass zwischen Artenschwund und Klimawandel eine Wechselwirkung bestehe. Die Zerstörung der Natur beschleunige die Erderwärmung. Ebenso trage die Klimaveränderung zur Vernichtung der biologischen Vielfalt bei. Neben dem Klimawandel sei daher der Verlust an Biovielfalt die am meisten alarmierende Herausforderung auf der globalen Tagesordnung. Die weltweite Naturzerstörung kostet die Menschheit nach neuen Studien jährlich bereits rund zwei Billionen Euro.

Täglich sterben Studien zufolge rund 150 Arten aus. Der Exekutivsekretär der Uno-Konvention über biologische Vielfalt, Ahmed Djoghlaf, warnte vor einem "Kollaps der Umwelt", wenn keine effektiven Gegenmaßnahmen ergriffen würden. Unter anderem forderte er einen besseren Schutz der Meere. Insbesondere Korallenriffe mit ihrem hohen Artenreichtum seien bedroht. "20 Prozent der Korallenriffe sind bereits zerstört."

Der Sprecher der Umweltstiftung WWF, Ralph Kampwirth, sagte auf N24: "Das ist das größte Artensterben seit dem Aussterben der Dinosaurier." Die Artenvielfalt habe seit 1970 um etwa 27 Prozent abgenommen. WWF-Naturschutzdirektor Christoph Heinrich sagte im ZDF-Morgenmagazin: "Wir bauen darauf, dass ein Arbeitsprogramm zum Schutz der tropischen Regenwälder hier in Bonn verabschiedet wird." Auch der Greenpeace-Klimaprojektleiter Martin Kaiser forderte, dass die Konferenz verbindlich beschließe, die Entwaldung bis 2015 zu stoppen. Konkret soll auf der Konferenz über den Aufbau und die Finanzierung eines weltweites Netzes von Naturschutzgebieten auch auf hoher See beraten werden.

Als eines der wichtigsten Ziele der Konferenz gilt die Eindämmung der Biopiraterie, bei der vor allem Industrienationen sich im Regenwald genetischer Ressourcen zum Beispiel zur Medikamentenherstellung unerlaubt bedienen. Vereinbarungen zwischen Industrieländern auf der einen sowie Schwellen- und Entwicklungsländern auf der anderen Seite sollen hier einen finanziellen Ausgleich schaffen.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erklärte, die deutsche Wirtschaft unterstütze das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt. Viele Industriezweige seien von intakten Ökosystemen unmittelbar abhängig, sagte BDI-Präsident Jürgen Thumann. Ihr Erhalt sei jedoch eine internationale Aufgabe. Bei der Umsetzung müssten Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an einem Strang ziehen.

Am 28. Mai wird Bundeskanzlerin Angela Merkel in Bonn erwartet. Sie hat bereits angekündigt, die Mittel für den globalen Waldschutz deutlich aufzustocken. Als "Messlatte" gilt regierungsintern die Initiative Norwegens, jährlich 500 Millionen Dollar im Kampf gegen die Zerstörung der Regenwälder zu investieren.

Am Rande der Konferenz forderten Umwelt- und Entwicklungsorganisationen die Bundesregierung auf, ihre finanziellen Mittel für den Naturschutz deutlich aufzustocken. Der Deutsche Naturschutzring erklärte, zur Finanzierung sei weltweit eine abgestimmte Strategie nötig. Denkbar sei etwa eine Abgabe auf internationalen Flug- und Schiffsverkehr, so Generalsekretär Helmut Röscheisen. Insgesamt sind Experten zufolge 30 Milliarden Euro im Jahr notwendig, um den Artenschwund zu bremsen.

Die "CBD Alliance", ein Bündnis von 140 nicht staatlichen Organisationen, sprach sich für eine Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft aus, insbesondere in armen Ländern. Dies sei für die Nahrungsmittelsicherheit entscheidend. Die Konferenz müsse sich deshalb dafür einsetzen, dass endlich auch die Rechte von Bauern und Ureinwohnern weltweit garantiert würden.