200 000 Rehe kommen jährlich auf deutschen Straßen um. Die Trassen wirken oft wie Barrieren.

Eine Limonade, die Flügel verleiht, wäre - wenn Wildtiere aus der Dose tränken- vielleicht eine Lösung. Denn ihre ohnehin knappen Lebensräume werden von Straßen, Bahnstrecken und Kanälen immer weiter zerschnitten. Das macht Rothirsch, Luchs oder Wildkatze nicht nur das Leben schwer; es behindert auch den Austausch von Erbanlagen mit weiter entfernt lebenden Artgenossen. Dadurch verarmt das Erbgut, sodass die Überlebensfähigkeit der betreffenden Arten geschwächt wird.

Barrieren vermindern zudem das Anpassungsvermögen an den Klimawandel. Er zwingt viele Tierarten, ihren Lebensraum allmählich zu verlagern. Doch finden Wanderungen oft ein jähes Ende - und sei es nur durch Spundwände, die es unmöglich machen, nach dem Durchschwimmen eines Kanals das andere Ufer zu erklettern. Während Schnecken und Laufkäfer oft schon an stärker befahrenen Straßen scheitern, müssen Hirsche, Rehe und Wildschweine spätestens an Zäunen oder Lärmschutzwänden kapitulieren.

Die vorhandenen 36 Wildbrücken an deutschen Fernstraßen seien nur "ein Tropfen auf den heißen Stein", urteilt der Agrarökologe Heiner Reck von der Universität Kiel.

Nun haben die Naturschutzverbände BUND und Nabu sowie der Deutsche Jagdschutz-Verband (DJV) "praxisnahe Pläne für die Vernetzung von Wildtierlebensräumen" vorgestellt. Unter dem Motto "Verbinden, was zusammengehört", steht das Überwinden lebensfeindlicher Straßen im Mittelpunkt. "Wir brauchen einen bundesweiten Umsetzungs- und Finanzierungsplan für einen großräumigen Biotopverbund", so die Verbände.

Dies sei unverzichtbar für die Umsetzung der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, die das Bundeskabinett im November 2007 beschlossen hatte.

Bedrohte Tierarten mit großem Flächenanspruch haben es im dicht besiedelten Deutschland seit Langem schwer. Zu ihnen gehört neben dem Rotwild und der scheuen Wildkatze auch der Luchs, der bei Wanderungen durch sein 100 bis 150, in Einzelfällen auch über 600 Quadratkilometer großes Streifgebiet immense Strecken zurücklegt. "In einem erstem Schritt fordern wir, bis 2020 jährlich 15 Grünbrücken zu bauen", sagt Nabu-Präsident Olaf Tschimpke und verweist auf ein Konzept mit jenen Stellen im Straßennetz, an denen Querungshilfen besonders fehlen.

Der DJV beklagt die steigende Zahl von Wildunfällen. "Es muss uns gelingen, diesen Trend umzukehren", fordert DJV-Präsident Jochen Borchert. Von April 2006 bis März 2007 ließen knapp 200 000 Rehe ihr Leben auf der Straße. Außerdem starben gut 22 300 Wildschweine, 3500 Stück Damwild und rund 2700 Stück Rotwild - Hasen, Wildkaninchen und anderes Niederwild nicht gerechnet. Zudem rechnet der DJV mit einer hohen Dunkelziffer, denn Wildunfälle ohne Schaden am Auto würden vielfach nicht gemeldet. Die Jäger-Lobby spricht von "deutlich mehr als einer halben Million getöteter Wildtiere im Straßenverkehr pro Jahr".

Es gelte, "die fortschreitende Isolation von Lebensräumen aufzubrechen", fügt Borchert hinzu. Beim Aus- und Neubau von Verkehrswegen sollten die Bedürfnisse der Wildtiere berücksichtigt werden. Dazu fordert der Nabu einen "Bundeswildwegeplan".

Nach Ansicht der drei Verbände ist die Wirksamkeit von Querungshilfen wie Grünbrücken oder Durchlässe wissenschaftlich nachgewiesen. Doch nicht nur an ihnen herrscht Mangel. In der Agrarlandschaft fehlten zudem Trittstein-Biotope. DJV-Sprecher Torsten Reinwald: "Auch Monokulturen aus Mais oder Raps können für manche Tiere unüberwindlich sein."

Agrarökologe Reck nennt als Beispiel Feldlaufkäfer, die sich eigentlich sehr gut ausbreiten, aber in ihrem ganzen Leben nicht viel weiter als einen Kilometer vom Ort ihrer Schlupfes weglaufen. Zur Ausbreitung brauchen sie Säume mit Feldgebüsch oder -gehölzen, denn sie dringen in der Regel nur 100 bis 150 Meter tief in bestellte Felder vor.

Zudem würden "Monokulturen absichtlich lebensfeindlich gemacht", etwa durch den Einsatz von Pestiziden. Selbst wenn die Käfer daran nicht direkt sterben, hätten sie unterwegs kaum die Chance zum Auftanken mit Nahrung, da geeignete pflanzliche oder tierische Kost fehlten. Folge: Wenn eine isolierte Laufkäferpopulation zusammenbricht, kann sie nicht durch Artgenossen ersetzt werden, da diese eine Wanderung durch eine Monokultur nicht schaffen. Reck: "Das ist so, als müssten sie durch eine Wüste laufen."

Für viele Käfer, Heuschrecken, Reptilien und Amphibien seien viel befahrene Straßen "schlicht unüberwindlich", so der Privatdozent. "Es kommen zwar einige durch, aber dazu müssen es viele probieren." Eine Schweizer Studie zu Großlaufkäfern habe gezeigt, dass mit der Zeit praktisch kein Gen-Austausch mehr über die Fahrbahn hinweg erfolge, die Straßen wirkten als vollkommene Barrieren.