Klare Sicht für Autofahrer und in Sportstadien - eine neue Technologie macht's schnell und effektiv möglich.

Jürgen Hofmeister wirft den Kompressor an. Das Monstrum röhrt. Dann klettert der Techniker auf die Ladefläche des Transporters und schüttet eine dampfende weiße Substanz in einen silberglänzenden Kasten, aus dem ein schwenkbares Rohr ragt, etwa anderthalb Meter lang. Aus einer Düse oben schießt regelmäßig ein Strahl in den trüben Himmel.

Detlev Möller nickt zufrieden. Sechs Jahre hat der Professor für Luftchemie an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus Stehvermögen bewiesen. Jetzt ist seine Vision Wirklichkeit: Eine mobile Maschine, mit der man überall kalten Nebel auflösen kann - schnell, zuverlässig, umweltfreundlich.

Einziger Schönheitsfehler: Der von den Meteorologen prognostizierte Nebel hat sich heute nicht eingestellt. Die Vorführung beweist zunächst nur, dass der Prototyp technisch tadellos funktioniert. Doch dass die neuartige Technologie erfolgreich ist, daran besteht kaum Zweifel. Denn sie wurde in umfangreichen Feldversuchen getestet und ist als Patent anerkannt.

Der Nutzen der Erfindung liegt auf der Hand. Wenn Nebel die Sicht versperrt, besteht höchste Gefahr. 2006 registrierte das Statistische Bundesamt 615 Unfälle auf deutschen Straßen und Autobahnen wegen Sichtbehinderungen durch Nebel; dabei starben 19 Menschen, 596 wurden verletzt. Bei fünf Unfällen kam es zu Massenkarambolagen.

Ähnlich bedrohlich ist Nebel für Flughäfen: Zwar werden Starts und Landungen kaum beeinträchtigt, für den auf Sichtkontakt ausgelegten Bodenverkehr hingegen ist er Gift. Stieße ein Tanklaster mit einem Flugzeug oder einem Shuttlebus zusammen - ein Horrorszenario. Neben dem Sicherheitsrisiko sind auch die finanziellen Folgen durch Ausfälle und Verzögerungen enorm. Nebel führt aus Sicherheitsgründen automatisch zu einer Verdreifachung der Landevorgangszeiten.

Nicht zuletzt leiden immer wieder sportliche und kulturelle Veranstaltungen unter der Behinderung durch Nebelschwaden. Das Biathlonrevier in Oberhof ist dafür ebenso berüchtigt wie das Stadio Delle Alpi, die Fußballarena von Juventus Turin - zum Ärger der Sportler, der Fans, der übertragenden TV-Sender und nicht zuletzt der Sponsoren.

Seit Jahrzehnten zerbrechen sich Wissenschaftler den Kopf, wie man Nebel auflösen könnte. "Es gibt drei Möglichkeiten", sagt Detlev Möller: "Man kann die Wassertropfen, aus denen Nebel besteht, wachsen lassen, bis sie so groß werden, dass sie ausregnen. Ein zweiter Weg besteht darin, die Tropfen verdampfen zu lassen, dann verschwinden sie auch. Bei der dritten Methode werden die Tropfen mechanisch entfernt, eine eher drastische Variante."

Die meisten angewendeten Verfahren beruhen auf dem "Impfen" der Wolken und des Nebels mit Chemikalien. So sorgt flüssiger Stickstoff für spontanes Gefrieren der Wassertropfen. Der Nachteil: Das Ganze dauert lange, ist wenig effektiv und belastet die Umwelt. Auch Versuche, bei denen hoch komprimiertes Gas wie Kohlendioxid in den Nebel geblasen wird, führen erst nach Stunden zum Ausregnen.

1999, auf einer "Regenmacher"-Konferenz in Thailand, wurde Möllers wissenschaftlicher Ehrgeiz geweckt. Der international bekannte Experte für Wolkenchemie, bis dato an Nebel nicht sonderlich interessiert, hatte Kollegen getroffen, die so verzweifelt wie erfolglos an zum Teil kuriosen Lösungen herumdokterten. Zurück in Deutschland hörte Möller zufällig von der Technologie des Trockeneisstrahlens. Sofort kam ihm die Idee, dass dieses in der Oberflächenbehandlung bekannte Prinzip auch eine Lösung zur Nebelbeseitigung sein könnte.

Mit dem Verfahrenstechniker Felix Elbing, einem Forscherkollegen von der Technischen Uni Berlin, testete Möller seine Trockeneis-Idee bei Versuchen im Freien. Mit Erfolg: ein neues Wirkungsprinzip für die Auflösung von "kaltem Nebel" war entdeckt. Dieser Nebel, der sich nur im Spätherbst und Winter bei uns bildet, besteht aus Wassertröpfchen, die kälter als Null Grad Celsius sind. Bei dieser Temperatur müssten sie gefrieren, doch dazu fehlt ein Kristallisationskern, an den sie sich andocken können.

Beim neuen Verfahren übernimmt tiefgefrorenes Kohlendioxid die Rolle des Kerns. Dieses sogenannte Trockeneis, handelsüblich als Kühlmittel in Fisch- und Supermärkten genutzt, bläst die Nebelschwaden regelrecht weg. Eine Druckluftkanone beschleunigt dazu Trockeneispellets von 0,1 bis zwei Millimeter Größe nahezu auf Schallgeschwindigkeit und schießt sie bis zu 25 Meter in den Nebel hinein.

Auf ihrer Flugbahn kollidieren die Trockeneisteilchen mit den Wassertröpfchen und sammeln sie quasi auf, zwischen zehn und hundert Stück pro Quadratzentimeter. Die Tropfen frieren an den minus 78 Grad kalten Trockeneispartikeln und wachsen zu Eiskristallen. Ein Vorgang, den Meteorologen Nukleationskollision nennen; Hagelkörner entstehen ebenso.

Allein durch dieses Partikelwachstum erhöht sich die Sichtweite; der Nebel hat aufgehört zu existieren. Wenig später sinken Mini-Schneebälle zu Boden, je nach Lufttemperatur als feiner Regen oder glitzernde Eiskristalle. Durch Kondensationsprozesse, das heißt durch den Übergang von Wasserdampf an die Eispartikel, wird die Luft untersättigt. Dadurch verdampfen weitere Nebeltropfen. Dieser Effekt pflanzt sich aus der Kernzone der Nebelbeseitigung in den umgebenden Nebel fort.

Mit einem einzigen Schuss wird auf einer Fläche von 200 mal 200 Metern der Nebel aufgelöst - in drei bis fünf Minuten sind die Schwaden verschwunden. Bei maximaler Kompressor- und Kanonenleistung und langsamer Fahrt kann mit 400 Kilo Trockeneis pro Stunde ein Areal von 20 Kilometer Länge und 500 Breite freigeblasen werden. Einziger Rückstand: Wasser.

Interessenten für die 350 000 Euro teure Anlage gibt es: Mailand und Peking wollen stationäre Lösungen für ihre nebelgeplagten Flughäfen. Ein Wintersportrevier in China leidet ebenso darunter wie ein Tagebau im Kosovo, den ein schwedisches Konsortium betreibt. In einigen österreichischen Dörfern führt häufiger Nebel zu verstärktem Auftreten von Depressionen bei den Bewohnern.

Am dringlichsten wäre wohl ein Einsatz der Technik im Straßenverkehr. Die ADAC- Nebelgefahr-Karte weist allein für deutsche Autobahnen fast 50 neuralgische Punkte auf. Möller sieht das Anwendungspotenzial des Nebelvernichters nicht nur auf Vorbeugung beschränkt: "Wir könnten Nebel auch an Unfallstandorten beseitigen. Das hieße klare Sicht für Unfallhelfer und bessere Rettungsmaßnahmen."

Demnächst wird das Nebelvernichter-Team in Oberhof im Biathlonstadion aktiv. Dort wünscht es sich viel Nebel, den sie in klare Sicht verwandeln wollen: "Das Stadion könnte in einer Viertelstunde entnebelt sein", schätzt Möller. "Nur etwa 100 Kilo Trockeneis zum Preis von 100 Euro wären dafür erforderlich."