Das Meereseis ist ihre Lebensgrundlage, die Eisbären brauchen es als Plattform für die Jagd. Doch durch die Erwärmung weicht das Eis immer mehr zurück. 2007 wird ein entscheidendes Jahr, den Klimawandel zu stoppen.

Ende Oktober, Anfang November kehrt gewöhnlich in der Arktis der Winter ein. Nördliche Winde lassen die Temperaturen auf minus 20 Grad fallen; auf dem Meer bildet sich eine Eissuppe, die schnell zu einer tragenden Schicht gefriert. Jetzt schlägt die Stunde der Eisbären: Hungrig wandern sie über die frische Eisdecke, kehren dem Festland den Rücken zu. Es ist die alljährliche Rückkehr in ihr Land, in die Welt des Packeises, wo sie hauptsächlich Robben jagen.

20000 bis 25000 weiße Bären durchstreifen noch die Nordpolarregion, allein 60 Prozent von ihnen leben in Kanada. Doch seit einigen Jahrzehnten schmilzt das Eis den Bären unter den Tatzen weg. Das größte Landraubtier der Welt hat einen Feind, gegen den es sich weder mit seinen starken Klauen noch mit dem kräftigen Gebiss zur Wehr setzen kann: den Klimawandel. Nirgendwo auf der Welt erwärmt sich die Erde schneller als an den Polen. In Alaska und Westkanada stiegen die Temperaturen in den vergangenen 50 Jahren um drei bis vier Grad, weltweit waren es in den zurückliegenden 100 Jahren gerade einmal 0,8 Grad.

Fälle von Kannibalismus

Was wären Eisbären ohne Eis? Sie sind perfekt an klirrende Kälte angepasst, jagen an der Eiskante Robben, auch einmal ein Walross oder einen Beluga-Wal, verspeisen die Beute auf Eisschollen. Das Meereis ist ihre Lebensgrundlage, die Plattform, von der aus sie ihrer Beute am nächsten sind. Die Tiere, lateinisch Ursus maritimus, sind wahre Seebären. Sie sind gute Schwimmer. Doch der Eis- und damit auch Nahrungsmangel zu den Jagdzeiten im Herbst und Frühjahr zwingt sie, immer weiter ins Meer hinauszupaddeln. So wurden schon Eisbären mehr als 150 Kilometer vor der Küste gesichtet. Die ungewöhnliche Anstrengung zehrte die Tiere zusätzlich aus, einige ertranken.

Vereinzelt kam es unter den Bären sogar schon zu Kannibalismus. Außerdem führt die verzweifelte Nahrungssuche die weißen Riesen - männliche Bären werden 2,5 bis drei Meter groß, Weibchen sind etwas kleiner - in die Nähe menschlicher Siedlungen. Das sorgt für Konflikte und löst das Problem nicht. Die nordkanadische Stadt Churchill betreibt seit 1980 einen Eisbärenknast mit inzwischen 28 Zellen. Dort können die Bären den Sommer verbringen, bevor sie bei Einbruch der Kälte freigelassen werden. Untersuchungen von erwachsenen Bärinnen der westlichen Hudson Bay (Kanada), einer der weltweit 19 Eisbär-Populationen, zeigten, dass die Tiere gut 20 Prozent an Gewicht eingebüßt haben im Vergleich zu den Vorgängerinnen im Jahr 1980. Vor allem tragende Weibchen leiden unter mangelnden Fettreserven, aber auch Jungbären. Bärinnen in schlechterem körperlichen Zustand haben kleinere Würfe und kleinere Jungen, deren Überlebenschance gering ist, zumal sich die männlichen Bären nicht an der Nachwuchspflege beteiligen.

Die Kleinen sind bei der Geburt im November/Dezember 30 bis 35 Zentimeter groß, wiegen etwa ein Pfund, sind blind, zahnlos und komplett auf ihre Mutter angewiesen. Wenn diese im Frühling mit ihren Jungen aus der Schneehöhle tritt, hat sie fünf bis sieben Monate nichts gefressen. Ihr Erfolg bei der Robbenjagd, der von den Eisverhältnissen abhängt, bestimmt nun das Schicksal der kleinen Familie.

Die Jagdsaison wird kürzer

Denn im Sommer ist schon wieder Fastenzeit. Ursus maritimus weicht mangels Eis auf das Festland zurück und verlässt damit seine Futterquelle im Meer. Schon heute überstehen nicht einmal die Hälfte der Nachkommen die immer länger werdende eisfreie Zeit, warnt der World Wide Fund For Nature (WWF). Dies ist ein großer Verlust, denn die Bärinnen haben im Schnitt nur fünfmal in ihrem Leben Nachwuchs. Eisbären werden 15 bis 18 Jahre alt. Die ersten Nachkommen haben sie meist im Alter von fünf, sechs Jahren und ziehen dann jeden Wurf, meist Zwillinge, zweieinhalb Jahre lang groß. Nasa-Forscher stellten anhand von Satellitenbildern fest, dass die Eisdecke der westlichen Hudson Bay im Frühling pro Jahrzehnt sieben bis acht Tage früher aufbricht und die Jagdsaison der weißen Bären entsprechend verkürzt. Über die vergangenen 40 Jahre sei so ein Extra-Fastenmonat zusammengekommen, so die Forscher.

Nicht viel besser ergeht es den Ringelrobben, der wichtigsten Bärennahrung. Auch sie sind vom arktischen Meereis abhängig, bringen auf ihm ihre Jungen zur Welt, nutzen es als Ruheplattform und gehen unter der Eisdecke oder am Eisrand auf Fischfang. Ringelrobben brauchen eine ausreichende Schneedecke, um darin Höhlen bauen zu können, in denen sie ihre Jungen aufziehen. Regen und ungewöhnliche Wärme im Spätwinter und Frühjahr bringen die Höhlen nicht selten zum Einsturz.

Ursus maritimus findet nicht nur weniger, sondern auch ungesündere Nahrung. Denn die Meeressäuger, die von den Bären gefressen werden, sammeln Umweltgifte in ihren Körpern an, die sich im Endglied der arktischen Nahrungskette besonders stark anreichern. In Eisbären wurden hohe Konzentrationen von Schwermetallen und chlorierten Verbindungen wie PCB oder Pestizide gefunden. Werden bei Nahrungsmangel die Fettreserven mobilisiert, werden die Chemikalien im Körper freigesetzt. Die Umweltgifte stehen im Verdacht, in Hormonsystem und Verhalten Störungen auszulösen und das Immunsystem zu schwächen.

Die Weltnaturschutzunion IUCN hat im Mai 2006 die Eisbären erstmals als vom Aussterben bedroht eingestuft. "Es wird erwartet, dass sich die Bestände als Folge des Lebensraumverlustes und der abnehmenden Qualität der Lebensräume in den kommenden 45 Jahren um mindestens 30 Prozent reduzieren werden", lautet die Begründung. Ende Dezember beschloss auch die US-Regierung, die 4700 Eisbären Alaskas auf die nationale Rote Liste zu setzen; eine endgültige Entscheidung fällt in einem Jahr. Umweltexperten verbinden damit die Hoffnung auf mehr Klimaschutz, da der Eintrag in die nationale Roten Liste mit dem gesetzlichen Schutz der Art verbunden ist. Der einzig effektive Schutz für Eisbären ist die drastische Senkung des Treibhausgasausstoßes.

Das Ende der Art?

Wenn sich jedoch der globale Klimatrend fortsetzt, könnte die Arktis schon in 35 Jahren während der Sommermonate eisfrei sein, lauten neueste Prognosen amerikanischer Forscher von der Universität Washington. Europäische Kollegen hatten zuvor ein Abschmelzen des Dauer-Eises im Nordpolargebiet bis 2080 vorhergesagt. Wenn dies geschieht, halten Experten es für unwahrscheinlich, dass die Polarbären in freier Natur überleben können. Die Tiere müssten sich an ein Leben an Land anpassen, würden dort auf die Konkurrenz der Braun- und Grizzlybären stoßen und sich womöglich mit ihnen verpaaren, was ebenfalls das Ende ihrer Art bedeuten könnte. Der vermehrte Kontakt mit Menschen wäre eine weitere Bedrohung. Vielleicht wird es irgendwann nur noch ein paar Hundert weiße Riesen in Zoos geben.

Doch Eisbären gehören ins Eis, das sagt nicht nur ihr Name. Sie sind perfekt an die Kälte angepasst: Zwei Fellschichten und ein Fettpolster, das bis zu elf Zentimeter dick werden kann, isolieren den Körper so effektiv, dass die Tiere praktisch keine Wärme verlieren. Das schneeweiße Fell ist übrigens eine optische Täuschung durch die Reflexion vom Sonnenlicht. Tatsächlich sind die Bärenhaare durchsichtig und hohl, damit sie die Sonnenstrahlen auf die dunkle Haut weiterleiten. Kleine Unebenheiten unter den Tatzen sorgen für Eishaftung, ihre kräftigen Klauen können sich gut in Robben bohren und diese so dingfest machen, die Bärennase kann die Beute kilometerweit aufspüren.

Einsam auf einer Eisscholle sitzend, so kennen wir Ursus maritimus, nahegebracht vom Sympathieträger "Der kleine Eisbär" namens Lars. Bleibt zu hoffen, dass wie im Film oder Buch für die realen Artgenossen ein Happy End gelingt - auch hier führen die Menschen die Regie.

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\* Infos: Die drei Fotos von Eisbären auf dieser Seite stammen von Norbert Rosingg. Seit 20 Jahren reist der Naturfotograf mindestens einmal jährlich in die kanadische Arktis und begibt sich auf die Spuren der Eisbären. Dabei entstanden beeindruckende Aufnahmen von der Natur am Polarkreis, die er in dem Bildband "Im Reich der Eisbären" dokumentiert. Der gut 200-seitige Bildband, erschien im Tecklenborg Verlag (Steinfurt).

Preis: 49,80 Euro, ISBN 3-934427-99-5.