Stadtplaner diskutierten beim 22. Wissenschafts- Forum über die Hintergründe für das Hamburger Konzept einer wachsenden Stadt. Forum zur Stadtentwicklung von Hamburg Journal, NDR 90,3 und Hamburger Abendblatt.

Wie realistisch ist das Ziel von zwei Millionen Einwohnern in Hamburg? Als mein Team und ich an das Begleitgutachten zum Senatskonzept "Wachsende Stadt" herangingen, haben wir diese Zielmarke für absurd gehalten. Nach der demographischen Entwicklung gibt es kein Wachstum, sondern Schrumpfungstendenzen. Großstädte haben zusätzlich das Problem, dass Einwohner ins Umland abwandern. Die Zielgröße zwei Millionen ist vielleicht eine Motivation, über derartige Dinge nachzudenken. Prof. Jürgen Oßenbrügge Wir müssen über die nächsten 10 000 reden, bevor wir über die letzten 10 000 sprechen. Ob es später zwei Millionen werden oder nicht, liegt im spekulativen Bereich. Zunächst gilt es, diejenigen, die in Hamburg wohnen, zu halten. Im Saldo verlieren wir jährlich 7000 Einwohner an das Umland. Viele wollen eigentlich bleiben, finden aber keinen geeigneten Wohnraum. Prof. Jörn Walter Also gehts mehr um Qualität als um Quantität? Früher standen Standortfaktoren wie Verkehrsanbindungen, Energieversorgung im Vordergrund. Inzwischen sind auch alle wirtschaftlichen Konzepte auf so genannte weiche Standortfaktoren ausgerichtet. Die kann man mit Lebensqualität übersetzen. Fast jede europäische Metropolregion, die einen internationalen Rang beansprucht, verfolgt ähnliche Konzepte wie Hamburg, zum Beispiel Barcelona, Wien oder Kopenhagen. Sie wollen die Attraktivität für die Einwohner und insbesondere für die Wirtschaft steigern. Prof. Jürgen Oßenbrügge Im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten hat Hamburg in den 90er-Jahren seine Stellung gehalten; gegenüber Metropolen in Europa ist es spürbar zurückgefallen. Hier will das Konzept der wachsenden Stadt gegensteuern. Mehr Einwohner sind nur mit einem qualitativen Wachstum in die Stadt zu locken. Es geht nicht nur um klassische Planungsthemen wie Anzahl von Wohnungen oder Zuwachs an Gewerbeflächen, sondern auch um Bildungspolitik, Familienpolitik und vieles mehr. Prof. Jörn Walter Wie lässt sich die Stadt attraktiver machen? Hamburg muss mit den bestehenden Landschaftsräumen verantwortlich umgehen, um sein Image als grüne Stadt zu behalten. Es hat auch die Chance, sich im nordeuropäischen Raum ein kulturelles Profil zu geben. Und wenn zusätzlich Menschen in die Stadt kommen, dann können das nur Jugendliche sein. Dazu muss die Stadt ein Universitätsstandort sein - mit einem besonderen Profil. Prof. Christiane Sörensen Die Hochschulen müssen in der Stadt präsenter sein. Deshalb fand die Erweiterung der ehemaligen Fachhochschule am Berliner Tor statt und nicht auf der grünen Wiese. Prof. Jörn Walter Wie lässt sich der Standortfaktor "Grün" fördern? Ich habe vor zehn Jahren das Landschaftsprogramm miterarbeitet. Es enthält wissenschaftliche Grundlagen für die nächsten 20 Jahre der Stadtentwicklung; daraufhin ist der Flächennutzungsplan angepasst worden. Hamburg hat eine gute Tradition im Umgang mit seinen Naturräumen wie Elb- und Alstertal. Derzeit habe ich den Eindruck, dass jegliche konzeptionelle Frage in Einzelentscheidungen und nicht in einem großräumigen Zusammenhang diskutiert wird. Prof. Christiane Sörensen Wo wird das Wachstum stattfinden? Am wenigsten auf Grünflächen. Hamburg hat große Potenziale im Elberaum: am Hafenrand, an der Hafencity, am Harburger Binnenhafen und auf der Veddel. Generell hat es einen Paradigmenwechsel gegeben: Wir entwickeln nicht mehr große Standorte wie Allermöhe, sondern verfolgen eine Strategie mit sehr vielen, in sich kleineren Vorhaben mit differenzierten Wohnformen. Das ist kein einfacher Weg. Mehr Standorte heißt mehr potenzielle Konflikte und ein höherer Verwaltungsaufwand. Prof. Jörn Walter Warum soll in den Walddörfern noch intaktes Grün überbaut werden? Die Frage, ob man diese Landschaftsachse bebauen darf, ist generell zu Gunsten der Natur entschieden worden. Der Senat hat sehr viel mehr Wohnbauflächen gestrichen, als er jetzt noch entwickeln will. Prof. Jörn Walter In der City-Süd waren Wohnungen geplant, doch kaum welche entstanden. Wie viele werden es in der Hafencity sein? Die Hafencity ist das größte Wohnungsbaugebiet, das wir zurzeit entwickeln. Langfristig sollen dort 5500 Wohnungen entstehen, knapp 2000 werden bereits in Bebauungsplänen behandelt. Wir wollen den Wohnungsbau zurück in die Stadt holen. Weitere große Projektflächen liegen an Krankenhausstandorten wie Ochsenzoll und Eilbek oder am Güterbahnhofsgelände in Barmbek. Prof. Jörn Walter Wenn man Umlandbewohner nach Hamburg zurückholen will, muss man entsprechenden Wohnraum anbieten können. Das sind flächenintensive Wohnformen, mit Garten. Neue Zuwanderer sind eher junge Menschen, die in die Kernstadt ziehen, um das Bildungsangebot zu nutzen. Diese Zielgruppe, und damit der Aspekt, billigen Wohnraum bereitzustellen, findet eine zu geringe Beachtung. Prof. Jürgen Oßenbrügge. Ist Wohnen in der Hafencity überhaupt erschwinglich? Ein Großteil der Flächen ist an Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften vergeben worden. Die Preise können schon auf Grund der großen Anzahl der entstehenden Wohnungen nicht in den Spitzensegmenten liegen. Prof. Jörn Walter Warum soll eine U-Bahn die Hafencity erschließen, anstatt ein Wandeln über Wasserarme zuzulassen? Für 10 000 Arbeitsplätze brauchen Sie eine Straßenbahn oder drei Hauptverkehrsstraßen plus 20 Prozent der Fläche für Parkplätze. Derzeit ist das Gebiet überhaupt nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen. Dort sollte ein leistungsfähiges, schienengebundenes Verkehrssystem hinkommen, sei es eine U- oder eine Straßenbahn. Die U-Bahn kostet halt zehnmal so viel. Prof. Eckhard Kutter Wie ist die Mobilität zu organisieren, damit die Stadt lebenswert bleibt? Es muss für die Metropolregion geplant werden. Die Stadt hat längst eine etwa 20-mal so große Region gebildet. Das Hamburger Leben vollzieht sich in einem Raum von 100 Kilometer Durchmesser, deshalb muss so viel mit dem Auto gefahren werden. Über die Stadtgrenzen hinweg wächst das Verkehrsaufkommen. In der City bleibt es konstant, weil die Leute sich vernünftig verhalten. Wenn man die Kernstadt Hamburg allein hätte, würde der HVV viele Probleme lösen können. Prof. Eckhard Kutter Braucht die wachsende Stadt ein neues Verkehrskonzept? Wir haben beim Autoverkehr eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 28 Stundenkilometern; in Berlin sind es 24. Die etwas bessere Situation ergibt sich zum einen durch die begrenzte Kapazität der Elbquerungen. Zum anderen hat die Stadt den bestehenden Mangel - z. B. an Parkraum - bislang recht intelligent verwaltet. Fazit: Das Auto wird in Hamburg noch relativ intelligent genutzt, weil die Infrastruktur ihre Grenzen hat. Prof. Eckhard Kutter Gehen wir durch den Stadtstaaten-Status an Provinzialität unter? Auf freiwilliger Basis versucht die Region, recht intensiv zusammenzuarbeiten. So ist vor einigen Jahren ein regionales Entwicklungskonzept erarbeitet worden - auch wenn es vielleicht noch nicht in allen Teilen funktioniert. Prof. Jörn Walter Die Initiative müsste aus Hannover und Kiel kommen. Ich glaube, dass Hamburg so weit ist, seinen Stolz aufzugeben und sich in einer regionalen Verfassung wiederzufinden. Prof. Jürgen Oßenbrügge Die Innenstadt hat viele Baulücken, warum werden die nicht geschlossen? Es ist eine Qualität von Hamburg, sehr stark durchgrünte Gebiete zu haben. Dieses Merkmal sollte erhalten bleiben. Prof. Jörn Walter Wo bleibt die soziale Stadtentwicklung? Im vergangenen Jahrzehnt sind etwa 50 000 neue Sozialwohnungen entstanden. Deshalb liegen die aktuellen Defizite woanders. Wir haben eine Abstimmung mit den Füßen: Die mittleren Einkommensgruppen mit einem Haushalts-Nettoeinkommen zwischen 2500 und 5000 Euro verlassen die Stadt, weil sie keinen passenden Wohnraum finden. Prof. Jörn Walter Auch hier fehlt es an regionaler Zusammenarbeit. Das Umland zieht die Besserverdienenden an, die Kernstadt bleibt auf den Sozialhilfeempfängern sitzen. Prof. Eckhard Kutter Die Tatsache, dass wir die Olympia-Planungen in den Stadtvierteln Rothenburgsort, Veddel und Wilhelmsburg machten, zeigt, dass wir gerade in sozial benachteiligten Vierteln die Entwicklung vorantreiben wollen. Prof. Jörn Walter Wie wird Wohnen in der Stadt wieder attraktiv? Der öffentliche Raum hat dabei große Bedeutung - die Wallanlagen machen die dicht bebaute City erst möglich. Barcelona hat sich mit Parks, Plätzen und den dahinterstehenden Investitionen berühmt gemacht. Ich kartiere gerade mit der Umwelt-, der Kulturbehörde und meinen Studenten die Kunst in den öffentlichen Räumen. Dabei wird deutlich, wie unterbelichtet dieses Thema in der Stadt ist. Prof. Christiane Sörensen Wie lassen sich Familien mit Kindern in der Stadt halten? Das Hauptargument für die Flucht ins Umland oder in die Grünachsen ist, dass schöne Hamburger Wohnlagen teuer sind. Wir müssen versuchen, den Leuten klarzumachen, dass das billige Haus im Grünen im Prinzip gar nicht billiger ist, weil eine Familie dann zwei, drei Autos braucht. Prof. Eckhard Kutter Familien mit Kindern zu halten bedeutet: Parkanlagen und andere öffentliche Räume in einer hohen Qualität. Eine wachsende Stadt muss für diese Orte Geld ausgeben. Die Pflege der öffentlichen Grünanlagen ist inzwischen sichtbar reduziert worden. Hier muss der Senat qualitativ nachziehen. Prof. Christiane Sörensen Ich wohne im Kernbereich Eimsbüttel und habe drei Kinder. Es ist sehr schwierig, ein familienorientiertes Leben zu führen. Der Stadtteil ist im Wesentlichen auf Verkehr, Geschäfte, Arbeitsleben ausgerichtet. Das Thema einer kinderfreundlichen Verdichtung hat bislang eine zu geringe Rolle gespielt. Prof. Jürgen Oßenbrügge Braucht Hamburg eine neue Planungskultur? Hamburg hat eine gute Planungstradition, deshalb ist die Stadt so schön. Daran werden wir festhalten. 1997 wurde ein neuer Flächennutzungsplan verabschiedet, in dessen Rahmen wir uns vollständig bewegen, bis auf kleine Modifikationen. Prof. Jörn Walter Wir müssen Bedingungen schaffen, die Internationalität fördern, so dass sich auch Ausländer in der Stadt wohl fühlen. Wir brauchen Kleinteiligkeit und Mischgebiete, wie das Schanzenviertel. Öffentliche Räume spielen gerade bei den Studierenden eine große Rolle; sie bewegen sich in der Regel lieber draußen und nehmen die Wohnung nicht als Repräsentationsraum. Prof. Jürgen Oßenbrügge Die traditionellen Stadtansichten verändern sich, gerade an der Elbe. Der Blick von Blankenese fällt heute auf ein Industriegebiet. Der Verantwortung, die wir für den Elbraum haben, sind wir uns noch gar nicht bewusst. Prof. Christiane Sörensen Roman Herzog hat bei der Eröffnung des Potsdamer Platzes in Berlin gesagt, die Lebensqualität einer Stadt hänge zu 75 Prozent von ihren Bewohnern ab und zu 25 Prozent von den Planern. Man sollte von der Stadtplanung nicht zu viel erwarten. Prof. J. Oßenbrügge Zusammenfassung: ANGELIKA HILLMER DAS FORUM IM FERNSEHEN Das Hamburg Journal berichtet am heutigen Dienstag im NDR 3-Fernsehen vom Wissenschafts-Forum, bei dem rund 170 Gäste im Verlagshaus Axel Springer mit vier Experten diskutierten: von 18.35 bis 18.45 Uhr in der Sendung "Vor Ort" .