Mit viel Geduld ebnen Therapeuten autistischen Kindern den Weg in ein soziales Leben.

Sie spielen gern mit Gegenständen, lieben immer gleiche Abläufe - und der Umgang mit anderen Menschen fällt ihnen schwer. Kinder, die an Autismus leiden, leben in ihrer eigenen Welt, eine Welt, zu der andere Menschen nur schwer oder manchmal sogar keinen Zutritt haben.

Unterschieden werden zwei Formen von Autismus. Der frühkindliche Autismus, jetzt autistische Störung genannt, ist dadurch gekennzeichnet, dass die Kinder im zweiten Lebensjahr auffällig werden. "Sie zeigen wenig Interesse an Sozialkontakten, ihre allgemeine und ihre Sprachentwicklung sind verzögert, eine Neigung zu stereotypen Beschäftigungen ist schon früh erkennbar", sagt Diplom-Psychologe Hartmut Janetzke, Leiter des Hamburger Autismus-Instituts.

Ursache der Störung ist eine Schädigung des Gehirns, die im Mutterleib oder in den ersten drei Lebensjahren stattgefunden hat. Das kann beim Ungeborenen ein wesentlich erhöhter oder erniedrigter Blutzuckerspiegel sein oder eine Rötelninfektion in der frühen Schwangerschaft. Später können Sauerstoffmangel unter der Geburt, Hirnhautentzündungen, Stoffwechselstörungen, Fieberkrämpfe, oder eine Toxoplasmose-Infektion eine solche Schädigung auslösen.

Heute geht man davon aus, dass ein bis zwei von tausend Kindern an einer autistischen Störung leiden, Jungen je nach statistischer Erhebung zwei- bis sechsmal häufiger als Mädchen. Auch bei der zweiten Form des Autismus, der sogenannten Asperger-Störung, sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen (sechs- bis 16-mal). Etwa ein bis drei Kinder von tausend leiden daran. "Von der autistischen Störung unterscheidet sich das Asperger-Syndrom dadurch, dass die Kinder zunächst gar nicht oder wenig auffällig sind und die Auffälligkeit oft zunächst positiv zu sein scheint. Die Kinder erreichen oft schon sehr früh ein hohes Sprachniveau, beginnen bereits mit zweieinhalb Jahren zu schreiben und können mit zwei, drei Jahren mit fantastischen Formulierungen sprechen", sagt Janetzke und erzählt von einem Jungen, der im Kindergarten den anderen Kindern schon die gesamten Dinosaurierarten präsentiert. Das Besondere ist dann aber, dass er dabei keine Rücksicht darauf nimmt, ob die anderen das hören wollen oder nicht. Daran zeigt sich das Typische beider autistischen Störungsformen, der Mangel an Einfühlungsvermögen.

Allerdings haben Kinder mit einer Asperger-Störung zunächst Interesse an sozialem Kontakt, spielen aber dann doch notgedrungen allein, weil die anderen Kinder es nicht lange mit ihnen aushalten. "Der Grund dafür ist, dass sie den anderen zwanghaft ihre Regeln aufoktroyieren. Ihr Regelverständnis sieht so aus, dass sie die Regeln bestimmen, und die sind für alle verbindlich, nur für sie selbst nicht", sagt der Psychologe. Sie entwickeln oft schon sehr früh erstaunliches Wissen in einzelnen Gebieten, Spezial- oder Hochbegabung. Ihre soziale Kompetenz ist im Vergleich dazu sehr schwach ausgeprägt. Häufig findet sich auch eine Diskrepanz zwischen intellektuellen und motorischen Fähigkeiten. Viele sind motorisch ungeschickt, lernen später Fahrradfahren, können schlecht schreiben, haben linkische Bewegungen und leiden unter motorischen Tics.

Die Ursache, so wird vermutet, ist genetisch. Festgestellt wird die Störung meist im Kindergarten oder in der Grundschule, manchmal auch erst auf dem Gymnasium. "Bis dahin konnten die Kinder die Störung gut mit dem Intellekt kompensieren. Aber dann wird deutlich, dass sie in der Entwicklung der sozialen Intelligenz hinter ihren Mitschülern zurückbleiben", sagt Janetzke. Typisches Verhalten zeigt zum Beispiel ein Schüler, der immer die Fenster geöffnet haben möchte und auch dann darauf beharrt, wenn alle anderen in der Klasse frieren. "Ihnen fehlt die Fähigkeit, andere Menschen als Objekt richtig einzuschätzen, und deswegen benehmen sie sich uns gegenüber so, als wären wir Gegenstände", sagt Janetzke. Dabei leiden die Betroffenen selbst am stärksten darunter, denn sie hätten gern gute Beziehungen zu ihren Mitmenschen, aber sie schaffen es nicht, weil sie nicht wissen, wie es geht. Einige können mit kognitiven Strategien das fehlende Einfühlungsvermögen ersetzen. Sie können lernen, sich z. B. so zu verhalten, als könnten sie den Schmerz des anderen nachempfinden. Aber viele lernen es nicht, weil sie nicht dazu bereit sind, weil sie schon so viele schlechte Erfahrungen gemacht haben, dass sie sich enttäuscht zurückziehen.

Das wollen die Therapeuten im Autismus-Institut verhindern. Wenn die Kinder dorthin kommen, sind sie erst mal überrascht. Denn es gibt keine Verhaltensregeln, keine Ermahnungen, keine Vorwürfe. Sie können die Regeln bestimmen. "In der Anfangsphase bemühen wir uns geradezu darum, uns instrumentalisieren zu lassen", sagt Janetzke und nennt ein Beispiel: "Ein Kind klappt immer wieder die Kinnlade des Therapeuten auf und zu, der jedes Mal einen Laut bildet, und freut sich darüber, dass es funktioniert. Normalerweise würde man sich nicht gern als Werkzeug missbraucht fühlen. Doch je mehr wir uns steuern lassen, umso sicherer fühlen sich unsere kleinen Therapiegäste. Um zu erreichen, dass die Kinder sich mehr für unsere Anregungen öffnen, lassen wir uns zunächst weitestmöglich von ihnen lenken, damit sie Vertrauen zu uns entwickeln."

Die Therapeuten zeigen viel Entgegenkommen und bringen viel Akzeptanz und Wertschätzung auf. "Damit schaffen wir eine Vertrauensbasis, auf der wir ihnen beibringen, wie menschliches Miteinander funktioniert, können sie dann auch in die bürgerliche Welt hineinlocken und ihre Bereitschaft fördern, soziale Regeln anzuerkennen", sagt Janetzke.

Vier Jahre dauert die Behandlung im Durchschnitt, mit einer Therapiesitzung pro Woche. Zurzeit werden im Hamburger Autismus-Institut 140 Kinder regelmäßig betreut. Hinzu kommen noch diejenigen, die in der Nachbetreuung sind und in schwierigen Situationen immer wieder mal auf den Rat und die Hilfen der Therapeuten zurückgreifen. Die Kinder werden von Kinder- und Hausärzten, Kindergärten und Schulen in die Einrichtung geschickt. Möglichst sollte eine amtsärztliche Empfehlung eines jugendpsychiatrischen Dienstes vorliegen, denn die Behandlung wird von Sozialämtern, Jugendämtern und Krankenkassen gemeinsam finanziert.