Werden die Grundlagen für Volkskrankheiten bereits in der Schwangerschaft gelegt? Und liegt die Zukunft der Frauenheilkunde in spezialisierten Behandlungszentren?

Die Frauenheilkunde wird weiblich", sagte Prof. Walter Jonat gestern zum Auftakt des Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie im Congress Center Hamburg. Der Kongresspräsident und Direktor der Frauenklinik an der Universität Kiel nannte Zahlen, wonach zurzeit mit 53,18 Prozent mehr Ärztinnen in der Frauenheilkunde tätig sind als in jeder anderen Facharztgruppe. Allerdings sei diese Entwicklung leider noch nicht in den Führungsgremien der frauenärztlichen Fachgesellschaften angekommen.

Zu den Schwerpunkten des viertägigen Kongresses, zu dem rund 3000 Teilnehmer erwartet werden, gehören auch Themen, die für Debatten in der Öffentlichkeit sorgen. "Wir sind als Frauenärztinnen und Frauenärzte immer wieder gefragt, uns mit Gestaltungsvorschlägen in die gesellschaftspolitische Diskussion einzubringen", sagte Jonat. Aktuell zählen dazu die Fortpflanzungsmedizin, anonyme Geburten und der Schwangerschaftsabbruch nach einer medizinischen Indikation.

Genitale Schönheits-OP Sorgen bereitet den Frauenärzten ein zunehmender Trend bei weiblichen genitalen Schönheitsoperationen. Darunter fallen auch Eingriffe an den Schamlippen. Der Hintergrund dieser Entwicklung ist der Wunsch nach immerwährender Jugendlichkeit. "Die Genitalien sollen so aussehen wie bei 15- bis 16-Jährigen", sagte Prof. Heribert Kentenich aus Berlin. Meist seien es junge Frauen, die sich an den Genitalien operieren lassen. Hinter solchen Wünschen könnten auch Selbstwertprobleme und Körperbildstörungen stecken, die mit einem solchen Eingriff nicht behoben sind.

Infektionen durch Keime Die Experten diskutieren auch über Infektionen in der Gynäkologie und Geburtshilfe. Probleme entstehen vor allem durch Keime, die gegen viele Antibiotika unempfindlich geworden sind. Der wichtigste Vertreter ist der Methicillin-resistente Staphylokokkus aureus (MRSA), der sich immer mehr ausbreitet. So sei die MRSA-Häufigkeit im Krankenhaus innerhalb von zehn Jahren von acht bis zehn Prozent auf heute 25 Prozent angestiegen, sagte Prof. Klaus Friese aus München. "Das sind Keime, die wir nicht mehr wirklich beherrschen." Obwohl seit fast 30 Jahren neue Antibiotika entwickelt würden, sei eine Therapie immer noch nur sehr eingeschränkt möglich.

Leitlinien zur Behandlung Ein weiteres Thema der Tagung sind die Leitlinien (Empfehlungen) zur Diagnostik und Behandlung von Frauenkrankheiten, zum Beispiel Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs und zur Hormonersatztherapie. Leitlinien haben seit zehn Jahren mehr und mehr an Bedeutung gewonnen, sagte Prof. Kreienberg aus Kiel. Mittlerweile habe die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe über 60 Leitlinien erarbeitet. "Leitlinien führen in der Medizin nachweislich zu besseren Ergebnissen und dienen dazu, dass Ärzte auf dem neuesten Stand der medizinischen Kenntnisse behandeln können."

Mammografie-Screening Erste Ergebnisse aus dem bundesweiten Mammografie-Screening stellte Prof. Ingrid Schreer aus Kiel vor. Danach haben von den bisher mehr als 2,6 Millionen eingeladenen Frauen im Alter zwischen 50 und 60 Jahren 54 Prozent an der Reihenuntersuchung zur Früherkennung des Brustkrebses teilgenommen. Eine Stichprobe ergab, dass von 397 786 untersuchten Frauen bei 2963 Frauen ein Brustkrebs festgestellt wurde. Insgesamt zeigte sich, dass knapp 81 Prozent der Tumoren in frühen Stadien entdeckt wurden und bei 79 Prozent der Patientinnen keine Lymphknoten befallen waren. Allerdings trete nur die Hälfte aller neuen Brustkrebsfälle bei Frauen in dieser Altersgruppe auf. Ein Viertel trifft jüngere und ein Viertel ältere Frauen. "Jenseits des Screenings brauchen wir für alle anderen Frauen eine gleichermaßen qualifizierte strukturierte Versorgung", forderte Schreer.

Mamma- und Genitalkrebszentren Für die Behandlung von Brustkrebspatientinnen gibt es bundesweit 1267 zertifizierte Mammazentren. Um auch Frauen mit Tumoren des Eierstocks, der Gebärmutterschleimhaut oder des Gebärmutterhalses besser behandeln zu können, werden jetzt Genitalkrebszentren eingerichtet, von den die ersten beiden in Erlangen und Regensburg auf dem Kongress zertifiziert werden. "In diesen Zentren sollen die Frauen behandelt werden, bei denen bei der Vorsorgeuntersuchung bei ihrem Frauenarzt verdächtige Befunde entdeckt wurden", sagte Prof. Matthias Beckmann aus Erlangen.

Die Zeit vor der Geburt Wie entscheidend ist die vorgeburtliche Zeit des Kindes im Mutterleib für sein späteres Leben? Diabetes und Herzkreislauf-Erkrankungen könnten ihre Grundlage schon im Mutterleib haben, sagte Prof. Ernst Beinder aus Zürich. Es habe in den vergangenen 15 Jahren viele Studien gegeben, die einen Zusammenhang zwischen der Zeit des Kindes im Mutterleib und Erkrankungen im höheren Alter gezeigt hätten, wie zum Beispiel Brustkrebs und Schizophrenie oder das metabolische Syndrom, die Kombination aus Diabetes, Übergewicht, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen. Ob die Würfel für die spätere Gesundheit schon im Mutterleib fallen und welche Rolle dabei der Lebensstil und die Umwelt spielen, diese Fragen sind noch nicht geklärt. "Die Schwangerschaft wird eine neue Bedeutung bekommen", sagte Beinder.

Weitere Themen des Kongresses sind die von der Fachgesellschaft empfohlenen Maßnahmen, um Verwechslungen von Neugeborenen in den Kliniken zu verhindern, die schwieriger werdenden Rahmenbedingungen für die Ausbildung von operativ tätigen Gynäkologen und die Vorteile für Frühgeborenen durch die Versorgung in spezialisierten Zentren.