Wartezeiten trotz eines Termins beim Doktor - nur wenige Mediziner suchen nach Auswegen. Dabei kann es besser laufen, wenn Patienten wie Kunden behandelt werden.

Morgens um elf, eine Hautarztpraxis in Hamburg. Ich habe einen Termin, bin pünktlich, frage aber lieber doch noch mal nach: "Muss ich lange warten?" "Nein, nein", versichert mir die freundliche Sprechstundenhilfe: "Ist alles ganz entspannt heute." Im Wartezimmer allerdings sind von zehn Stühlen sieben besetzt. Ganz entspannt? Mal sehen.

20 Minuten später. Zwei Patienten wurden aufgerufen, drei neue kamen hinzu. Nur noch ein Stuhl ist frei. Die Luft ist stickig, die Zeitschriften langweilig.

Um 11.40 Uhr platzt mir der Kragen. "Sie sind die Nächste", beruhigt mich die Sprechstundenhilfe im Flur. "Gehen Sie schon mal ins Sprechzimmer." In dem fensterlosen Raum warte ich noch mal 20 Minuten auf einem Hocker. Vor mir eine Liege, ein Computer, darunter stehen kleine Playmobil-Figuren in einem Spielzeug-OP. Ich stelle mir vor, sie durch den Raum zu pfeffern oder den PC vom Tisch zu kippen. Irgendwas tun, egal. Bevor ich explodiere, stürmt eine junge frische Ärztin herein: "Einen wunderbaren guten Morgen. Was kann ich für sie tun?"

Ja, liebe Frau Doktor, Sie könnten sich zum Beispiel für die einstündige Wartezeit entschuldigen. Aber als ich mich bei Ihnen beschwere, reagieren Sie mit Unverständnis. Das könne schon mal vorkommen. Und im Übrigen sei dies der Grund, warum man in dieser Praxis eigentlich keine Termine mehr vergebe.

Ich glaube, mich verhört zu haben. Denn das heißt nichts anderes: Wartezeiten werden zum Glücksspiel für Patienten, die Praxis entzieht sich jeder Verantwortung.

Mir fällt die Bahn ein. Wenn mein ICE 15 Minuten Verspätung hat, entschuldigt sich der Zugführer; auf dem Bahnsteig warten oft Aushilfen und geben mir Pappbecher mit Kaffee. Auch wenn ich auf diesen Schnickschnack verzichten könnte, eins ist klar: Hier werde ich als zahlende Kundin anerkannt, und wenn die Bahn ihren Part nicht einhalten kann, dann gibt es jedenfalls den Versuch einer Entschädigung. Habe ich jemals einen Kaffee in einer Arztpraxis bekommen? Entschuldigt man sich bei mir, wenn ich mich mal wieder 50 Minuten lang durch alte Zeitschriften gequält habe? Meine Freundin in Bayern leidet seit zwei Jahren unter einer schweren Allergie. Doch zum Arzt geht sie nicht: "Ich kann das einfach nicht aushalten, dieses ewige sinnlose Warten."

Eine Verwandte beschwerte sich neulich in Blankenese bei ihrem Arzt, dass die Sprechstundenhilfe so unfreundlich war. "Ach seien Sie doch so nett und sagen das nachher der Sprechstundenhilfe direkt - das wirkt dann immer besser." Auch nicht schlecht. Patienten ersetzen den Chef.

Aber welcher Medizinstudent lernt das schließlich auch: Praxismanagement oder Kundenorientierung?

Bei der Ärztekammer Hamburg ist das Thema zwar bekannt - aber reagieren könne man nur, wenn es konkrete Beschwerden über eine konkrete Praxis gäbe, heißt es dort.

Natürlich seien Wartezeiten unangenehm. Aber jeder Arzt habe die Pflicht, Notfallpatienten aufzunehmen. Dafür hätten die meisten Patienten auch Verständnis. Das habe ich auch. Mit zwei Kindern war ich oft genug selbst Notfall und bin vielen guten Ärzten zu Dank verpflichtet. Aber wenn über Jahre hinweg klar ist, dass täglich Notfallpatienten dazwischengeschoben werden müssen, warum kann man darauf in der Planung seiner Arbeit nicht reagieren?

In unserer HNO-Praxis am Gänsemarkt wartet keiner, weder mein Mann (Privatpatient) noch ich (Kasse). Rosemarie Neumann-Spiess (45) ist dort Ärztin: "Das funktioniert bei uns nur, weil wir die Patienten als Kunden sehen."

Was das heißt? Ärzte und Sprechstundenhilfen verstehen sich als Team. Es gibt Organisationsgespräche, Probleme kommen auf den Tisch. Dank eines Computerprogramms weiß der behandelnde Arzt genau, wie lange der Patient gewartet hat: Grüner Balken unter dem Namen bedeutet "unter 15 Minuten" - alles o. k. Gelber Balken: "Achtung, hat schon fast 30 Minuten gewartet." Roter Balken: "Alarm! Über 30 Minuten, also ist erst mal eine Entschuldigung angebracht."

Bei Notfallpatienten helfe die eigene Disziplin. "Wenn jemand als Notfall kommt", so die Ärztin, dann behandele sie ihn selbstverständlich. Aber: "Auch wirklich nur zu diesem Notfall. Für alles andere muss man einen Termin abmachen."

Bin ich unfair? Prügel ich auf den gesundheitsreformgeschädigten Ärzten herum und verlange noch mehr Bürokratie? Will ich nach der Stoppuhr behandelt werden? Nein! Ich bewundere Ärzte, die ihren Job mit Herzblut machen, und nehme dafür Wartezeiten in Kauf. Sehr häufig aber haben Wartezeiten nur eine Ursache: Fehlorganisation. Und so frage ich mich, warum in einigen Praxen funktioniert, was in anderen nicht mal als Problem gilt. Herr und Frau Doktor, übernehmen Sie!