Wann können wir Essen und Trinken genießen? Ein Sternekoch und eine Ernährungswissenschaftlerin diskutieren dazu fünf Thesen.

Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Über Genuss anscheinend schon. Ein Gespräch zwischen dem Sternekoch Michael Laumen und Ernährungswissenschaftlerin Dr. Gesa Schönberger.

Michael Laumen gab seinen Job als Klimatechniker auf, um als Profikoch zu arbeiten. Mit seinem Restaurant "Ich weiß ein Haus am See..." im mecklenburgischen Krakow erhielt er 1996 einen Michelin-Stern. Gesa Schönberger ist Genussforscherin bei der "Dr. Rainer Wild Stiftung für gesunde Ernährung" in Heidelberg. Zwei professionelle Genießer, die durchaus unterschiedliche Meinungen vertreten - wie die Antworten auf unsere fünf Genuss-Thesen beweisen.

Genuss ist nicht nur Geschmackssache

Wie wichtig sind die anderen Sinne neben dem Geschmackssinn? "Beim Essen sind neben dem Geschmackssinn das Auge, der Geruchssinn und der Tastsinn aktiv", sagt Schönberger. "Die Sinneswahrnehmung wird in der Großhirnrinde unmittelbar mit dem Gefühl verknüpft." Der Sternekoch weist auch darauf hin, dass die Sinne über den Tellerrand hinaus reagieren: "Je schöner das Ambiente, umso mehr Spaß macht das Mahl natürlich." Das gilt aber nicht nur für Spitzenrestaurants: Ernährungswissenschaftlerin Schönberger weiß aus Studien, dass Senioren in Heimen mehr essen, wenn sie sich im Speiseraum wohlfühlen.

Genuss ist auch eine Frage der Zeit

Kann sich Wohlbehagen einstellen, wenn wir wenig Zeit haben? Nach Schönberger kommt es auf das eigene Empfinden an: "Wer sich Zeiten schafft, um zu genießen, ist in sich ausgeglichener und ein Stück weit erholter. So kann man selbst Fast Food wie Fritten und Hamburger genießen, wenn man sich darauf freut", meint Schönberger. "Genussvoll kann ja auch die Vorfreude sein, ebenso wie das gerade Erlebte und die Sättigung. Fast Food ist zwar für den Verzehr in wenigen Minuten konzipiert, aber auch so etwas kann positiv stimmen."

Gesa Schöneberger kritisiert, dass Menschen mit Genuss immer eine Festsituation verbinden. "Doch das muss nicht sein", sagt sie. "Wenn man sich dessen bewusst wird, kann man auch Dinge des Alltags besser genießen." Michael Laumen, der Maître, stimmt zumindest darin überein, dass man sich Zeit zum Genießen nehmen muss - allerdings denkt er dabei an gemütliche Kochereignisse: "Sich Zeit zu nehmen ist Grundvoraussetzung. In der Profiküche ist Stress unvermeidlich, aber zu Hause koche ich entspannt mit einem Glas Wein."

Genuss entsteht durch Ausprobieren

Kann man Neues und Ungewohntes genießen? Für Michael Laumen ist das kein Widerspruch: "Es gibt ja dieses Sprichwort Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht". Hobbyköche sollten aber neue Entdeckungen machen, offen für Neues und mutig sein. Es fängt bei vielen Leuten schon mit dem Fehler an, streng nach Rezept zu kochen, ohne selbst abzuschmecken." Aber es ist gerade die Angst vor Experimenten, die laut Schönberger dazu führt, dass man Unbekanntes nicht auf Anhieb genießen kann: "Wir müssen Fremdes erst kennenlernen, um es genießen zu können."

Man werde in eine gewisse Kultur hineingeboren, und Dinge, die man etwa schon als Kind positiv aufgenommen hätte, könnten die Basis für Situationen des Wohlbefindens legen, die man später als Erwachsener erlebt. Ein gutes Beispiel dafür sei das Genussmittel Schokolade. "Sie weckt Erinnerungen an die Kindheit, ist ein Träger emotionaler Botschaften wie Zuwendung und Geborgenheit", sagt Schönberger, "so trägt sie zu den kleinen Freuden des Alltags bei."

Die Deutschen sind keine Genießer

Dichter und Denker stammen aus Deutschland. Aber auch Gourmets und Genießer? "Dafür sind die Deutschen nicht gerade bekannt", gibt Schönberger zu. Laumen glaubt dagegen, dass die Deutschen einen Sinn für Genuss haben. Das zeige auch die Masse an Kochsendungen: "Über die TV-Köche kann ich mich zwar manchmal aufregen, aber die Zuschauer werden zumindest für das Thema sensibilisiert. Eigentlich bräuchten die Leute aber einen Kochkurs. Sie müssen Garpunkte lernen, über Würzungen Bescheid wissen. Viele Küchenchefs geben Kurse am Wochenende, bei denen man eine Menge lernen kann."

Genuss ist Luxus und meistens teuer

Kulinarischen Genuss gibt es nur in mehreren Gängen im Spitzenrestaurant. Stimmt das? "Ich wehre mich dagegen, Genuss nur auf der Luxusebene zu diskutieren. Auch kleine Dinge des Alltags führen zum Genuss. Das wird vielen aber meist erst mit zunehmenden Alter klar", sagt Schönberger. Ältere Menschen genössen in der Regel intensiver als Jüngere und könnten Momente mehr auskosten.

Beim Kochen zu Hause kann Michael Laumen auch ohne Luxus genießen: "Jeden Tag Sterneküche muss nicht sein." Aber als Sternekoch setzt er unbedingt auf hohe Qualität: "Die einzige Zutat, die Genießer beim Discounter kaufen können, ist Salz. Jede Küche zeichnet sich durch frische Produkte aus." Hobby-köchen rät er deshalb, dort einzukaufen, wo es frische Ware gibt. "Hamburg hat ein beneidenswertes Angebot an guten Food-Läden", sagt Experte Laumen.

Es gibt also keinen allgemeingültigen Weg zum Genuss. Aber es hilft, sich Zeit zu nehmen und auf Entdeckung zu gehen - ob in der Speisekarte eines Spitzenrestaurants oder zu Hause in Omas Rezeptsammlung.