Sechs kerngesunde Briten testeten ein neues Medikament und landeten auf der Intensivstation. Diese Meldung schreckte am 16. März alle auf, die gehofft hatten, daß alle Erkenntnisse aus Tierversuchen auf das Immunsystem der Menschen übertragbar seien. "Doch das Immunsystem der Probanden geriet durch das neue Medikament durcheinander", sagt Prof. Bernhard Fleischer, Direktor des Bernhard-Nocht-Instituts und des Instituts für Immunologie am Universitätsklinikum Eppendorf. Dabei sollte das Medikament das Immunsystem stärken. "Dieser tragisch verlaufene Versuch zeigt eindringlich, wie komplex das menschliche Immunsystem ist. Es gibt zwar dicke Lehrbücher, mindestens 30 Fachzeitschriften - aber offenbar wissen wir noch nicht genug über das Immunsystem, das uns vor Eindringlingen schützt, eigene verbrauchte Zellen beseitigt und bei der Regeneration der Haut, der Regulation der Körpertemperatur oder der Blutbildung mitwirkt", so Fleischer, der gemeinsam mit Kollegen mehr Informationen über dieses System im Rahmen des "Europäischen Tages der Immunologie" am 29. April verbreiten will. Auch deshalb, weil immer klarer wird, daß das Immunsystem "bei fast allen Krankheiten eine Rolle spielt. Und das eröffnet neue Wege in der Therapie".

Das Immunsystem verteidigt 300 Quadratmeter Schleimhäute - eine Fläche, so groß wie eine Turnhalle. Vor allem Lunge, Magen-Darm- und Urogenital-Trakt müssen bewacht werden. Diese Arbeit leisten die wichtigsten Zellen des Immunsystems, die T-Lymphozyten. Sie reisen ständig durch den Körper und prüfen, ob sich irgendwo ein Erreger eingeschlichen hat. Diese Kontrolle gelingt, weil jede einzelne der rund 1014 Körperzellen - das sind weit mehr als die Sterne unseres Sonnensystems - rund 200 000 kleine Eiweißmoleküle an ihrer Oberfläche plaziert. Sie zeigen, was in der Zelle vorgeht, sind der "Personalausweis" der Zelle. Kann sich eine Zelle nicht ausweisen, oder signalisiert sie gar, daß sich in ihr ein Erreger befindet, starten die T-Lymphozyten die Abwehr. "Auf der Höhe der Reaktion können etwa ein Drittel aller Lymphozyten, die im Körper sind, für die Abwehr dieses Erregers zuständig sein. Nach 14 Tagen sind sie verschwunden, das Immunsystem hat sein Gleichgewicht wiedergefunden", so Fleischer. Und es hat dazugelernt. Das Immunsystem kann nicht nur zwischen "fremd" und "eigen" unterscheiden, sich auf Unvorhersehbares einstellen, es hat auch ein lebenslanges Gedächtnis. "Erreger, die es einmal erfolgreich bekämpft hat, erkennt es bei einer zweiten Infektion schnell und reagiert entsprechend stärker", so Fleischer.

Wenn das Immunsystem allerdings aus dem Gleichgewicht gerät, wenn es den Körper angreift, wird der Mensch krank. Neue Medikamente sollen diese Abwehrreaktion unterbinden. Bei entzündlichem Rheuma oder schwerem Morbus Crohn werden die Symptome gelindert - allerdings mit Nebenwirkungen. Das Medikament, das die Entzündungen stoppt, schwächt die körpereigene Abwehr gegen Tuberkulose. Auch das zeigt, daß noch viel Forschung nötig ist, um besser verträgliche und zudem preiswertere Medikamente herzustellen.

Dazu tragen auch die UKE-Forscher bei. Sie untersuchen, wie die Immunantwort reguliert, die erforderliche Menge an Abwehrzellen hergestellt wird. Zudem erforschen sie Eiweiße von Kamelen und Lamas, die die Tiere zur Abwehr von Erregern bilden. Diese Antikörper, die einfacher gebaut sind als andere, könnten zukünftig die Behandlung von Immunerkrankungen verbessern. "Aber bis dahin ist noch ein langer Weg", so Fleischer.