Jürgen Allemeyer ist Geschäftsführer des Studierendenwerks Hamburg. Das Abendblatt sprach mit ihm über die finanzielle Situation der Studenten.


Abendblatt:

Studenten müssen seit einem Jahr 500 Euro Studiengebühren bezahlen. Wie finanziert ein Durchschnittsstudent sein Studium?

Allemeyer:

Durchschnittlich gibt ein Studierender 860 Euro für den Lebensunterhalt im Monat aus, der größte Brocken ist die Miete mit 320 Euro. Die Studienfinanzierung erfolgt zu über 80 Prozent durch die Eltern mit einem Betrag von ca. 400 Euro. Der Anteil der BAföG-Empfänger liegt bei unter 20 Prozent, noch wesentlich weniger Studierende finanzieren sich über Stipendien und Kredite.



Abendblatt:

Welche Finanzierungsmöglichkeiten haben Studierende, die nicht ausreichend von den Eltern unterstützt werden?

Allemeyer:

Speziell zur Finanzierung der Studiengebühren bieten wir das Hamburger Studiendarlehen der KfW an, das mit ca. sechs Prozent verzinst wird. Daneben gibt es weitergehende Studien- und Bildungskredite. Vor einer Darlehens-Aufnahme sollten unbedingt der Anspruch auf BAföG und Stipendienmöglichkeiten geprüft werden. Studierende wollen sich nicht verschulden. Über 70 Prozent müssen nebenher Geld verdienen, was auch eine Ursache dafür ist, dass Studierende ihr Studium abbrechen oder erst gar nicht anfangen.



Abendblatt:

Brechen denn seit der Studienreform und den -gebühren mehr Studierende ihr Studium ab?

Allemeyer:

Empirisch haben wir noch keine Belege, die letzte Sozialerhebung stammt von 2006. Aber es ist eine Plausibilitätsüberlegung: Mit den Bachelor- und Masterstudiengängen ist das Studium verschulter. Studierenden bleibt weniger Zeit, um mehr Geld zu verdienen. Mit der drohenden Verschuldung durch Kredite sind viele überfordert. Das Studium verliert an Attraktivität, Studienabbrüche drohen. So geht eine Menge Bildungspotenzial verloren. Auffällig ist: Von 100 Akademiker-Kindern studieren rund 83, bei Nichtakademikern sind es gerade 23. Das führt zu einem Bruch in der Gesellschaft, der von der Finanzierung nicht aufgefangen wird und sich weiterhin verschärft.



Abendblatt:

Wie sollten die Finanzierungssysteme weiterentwickelt werden, wie kann der "Bruch in der Gesellschaft" vermieden werden?

Allemeyer:

Die Systeme müssen auf der Einkommensseite der Studierenden, aber auch auf der Seite der Lebenshaltungskosten weiterentwickelt werden. Beim BAföG gilt es, jährlich Anpassungen an die Inflation vorzunehmen und die Einkommensgrenze zu erhöhen, um größere Bevölkerungsschichten einzubeziehen. Studiengebühren sollten auch unter sozialen Gesichtspunkten gestundet bzw. erlassen werden können. Und zu den Stipendien: Die Stipendienkultur muss in gemeinsamer Anstrengung von Politik und Wirtschaft deutlich vorangetrieben werden. Wir brauchen mehr Sozialstipendien, die sich nicht an besonderen Leistungen orientieren, sondern gerade finanzschwache Gruppen unterstützen sollten. Mit der Studienreform nimmt die Notwendigkeit von Stipendien für alle Gruppen zu!