Fantasievoll streiten Hamburger Studenten für ihre Ziele. Auf dem Campus werden Gebäude blockiert, vieles aber läuft ungestört.

Laut scheppernd fährt eine Bahn in den U-Bahnhof Schlump ein, Passanten kommen die Rolltreppe hoch und staunen - ihr Blick fällt auf eine Schultafel, auf der die mathematische Formel steht: a2 + b2 = c2. Hier findet gerade eine öffentliche Mathe-Vorlesung statt, die von Studenten des Geomatikums organisiert und von Dr. Hubert Kiechle, Privatdozent im Fachbereich Mathematik, gehalten wird. Der ein oder andere Passant bleibt stehen, mischt sich ins Gespräch der Studenten. Gemeinsam gelingt ihnen die Beweisführung mehrerer mathematischer Sätze. Es wird gelacht und gescherzt.

"Wir wollen, dass Bildung für alle zugänglich ist", begründet der Dozent diese ungewöhnliche Aktion. "Es ist uns wichtig, dass Bildung nicht nur für eine Eliteschicht möglich wird", betont Tobias Iffland (26). Der Mathestudent steht kurz vor dem Abschluss. "Wir wollen beim Reformprozess der Uni mitbestimmen", erläutert Geographie-Studentin Anna Jonas (22) ein weiteres Ziel, das Studenten der Mathematik und Geowissenschaften verfolgen.

Kurz zuvor hatte die Vollversammlung des Geomatikums - dort sind der mathematische sowie die geowissenschaftlichen Fachbereiche beheimatet - gerade das Ende des Vollstreiks beschlossen. Das bedeutet: Vorlesungen und Seminare finden ab heute wieder statt, zusätzlich gibt es Aktionen wie diese öffentliche Vorlesung.

Damit geht das Geomatikum eigene Wege. Denn eine Uni-Vollversammlung hatte sich am Dienstag dafür ausgesprochen, die Uni voll zu bestreiken. Vor allem am Pädagogischen Institut, im Philosophenturm und im "Pferdestall", Heimat der Sozialwissenschaften, finden gegenwärtig nahezu keine Veranstaltungen statt, weil Streikposten dort aktiv sind. "Wir lassen aber alle Leute, die mündliche Prüfungen machen, Hausarbeiten abgeben oder wichtige Besprechungen haben, durch", sagt Bertold Scherf (23). Der Münchner zog extra nach Hamburg, um hier Sozial-und Wirtschaftsgeschichte zu studieren. Doch zum 1. April wird der Studiengang geschlossen.

Die überwiegende Mehrheit der etwa 39 000 Studenten bekommt vom Streik nichts mit. Völlig ungestört hörten gestern beispielsweise mehr als 600 angehende Wirtschaftswissenschaftler im überfüllten Hörsaal A des WiWi-Bunkers die Vorlesung "Methodenlehre der Statistik". Auch die Vorlesungen im Audimax finden statt. "Ich kann ungestört studieren", berichtet Anne Mönning, die im vierten Semester Wirtschaftswissenschaften studiert. Sie findet es ärgerlich, dass kurz vor den Klausuren überhaupt gestreikt wird. Verständnis für den Streik hat hingegen Söhnke Erichsen (25). "Die Ausstattung der Uni ist einfach schlecht. Ich würde jedem Studenten raten, aktiv etwas dagegen zu tun", sagt der BWL-Student, der nicht streikt, weil er im Sommer Examen macht. "Für mich läuft alles völlig normal", sagt auch Jan Axtner (26). Er studiert im neunten Semester Biologie und macht nicht mit, um seinen Abschluss nicht zu gefährden. Auch seine Kollegen in den Fachbereichen Chemie, Medizin, Pharmazie oder Jura kümmert der Streit wenig.

Wie es weiter geht, soll eine Uni-Vollversammlung kommenden Dienstag beschließen. Bis dahin werden die Studenten des Geomatikums weitere spektakuläre Aktionen durchführen.

Heute wollen sie eine "Exkursion zu den Sehenswürdigkeiten Hamburgs" organisieren - nicht um sich diese anzusehen, sondern um die Hamburger auf die Misere an der Universität hinzuweisen.