Im Heinrich-Pette-Institut gibt es weltweit einzigartige Untersuchungsmöglichkeiten. Ein Besuch im Labor.

Aids-Viren kapern gesunde Zellen, Malaria-Erreger benutzen Leberzellen als "Trojanische Pferde", Hepatitis-Viren legen intakte Zellen lahm: Solche Szenarien wollen Hamburger Infektionsforscher vom kommenden Jahr an "live" und in 3D verfolgen. Sobald am Heinrich-Pette-Institut (HPI) in Eppendorf das 740 000 Euro teure tomografische Kryo-Elektronenmikroskop (TEM, s. Extratext) in Betrieb gegangen ist.

"Damit werden wir neue Erkenntnisse über den Verlauf von Infektionen bekommen und erfahren, wie sich die winzigen Krankheitserreger einschleichen und unsere Zellen zwingen, Kopien von ihnen herzustellen", sagt Heinrich Hohenberg, der wissenschaftliche Direktor des HPI. Das eröffne die Chance, neue Therapieansätze zu entwickeln.

Mit weltweit einzigartigen Tricks jagen die HPI-Forscher die winzigen, wandlungsfähigen Krankheitserreger; sie enthüllen dabei das pralle Leben in den Zellen, von dem wir bislang nur eine grobe Vorstellung haben. "Wie gute Detektive versuchen wir, die Arbeitsweise der Täter, also der Krankheitserreger, zu analysieren", vergleicht Hohenberg. Ziel sind ein genauer Steckbrief und ein Bewegungsprofil.

In der Tat können die Hamburger Forscher mit ungeahnter Genauigkeit Makromoleküle, Viren, Parasiten, Zellen oder infiziertes Gewebe abbilden. Nur in Hamburg ist die Kombination von Geräten und Know-how vorhanden, die diese faszinierenden Einblicke in die Komplexität lebender Zellen erlaubt. Einige hat Hohenberg mit entwickelt. Vier Patente sind auf ihn zugelassen. In seinem Labor zeigt er dem Abendblatt, wie diese Spitzentechnologie funktioniert.

"Ich werde Ihnen unsere Technik, mit der wir Gewebeproben von Mäusen, Ratten oder Menschenentnehmen, an diesem Apfel demonstrieren", sagt Hohenberg, während er die automatische Biopsie-Pistole in die Hand nimmt. Auf sie hat Hohenberg zusammen mit der Firma Leica Microsystems ein Patent. Es fällt ein Schuss - die 0,7 Millimeter dünne Biopsie-Nadel ist mit hoher Geschwindigkeit in den Apfel eingedrungen. Zwei Millisekunden dauert die Gewebeentnahme. Diese Technik erlaubt es, extrem kleine Gewebeproben schmerzfrei zu entnehmen - nur 40 Zelllagen ist das Gewebestück hoch, das sich in der Spitze der Nadel befindet. Sofort landen sie in einem winzigen Probenträger, der in einen speziellen Halter eingesetzt wird. Auch darauf hat Hohenberg ein Patent.

Jetzt kommt Schritt Nummer zwei, Spitzenforschung am HPI: Schocktiefgefrieren. "Wir können Zellen im lebenden Zustand so einfrieren, dass sie ein Abbild der lebendigen Wirklichkeit bleiben, bis wir sie im Elektronenmikroskop analysieren. Der Grund ist, dass das Wasser in den Zellen so schnell gefriert, dass sich keine Kristalle bilden, die die molekularen Zellstrukturen zerstören könnten. Daher können wir genau erkennen, wie die kleinen Krankheitserreger uns großen Menschen zusetzen", erläutert Heinrich Hohenberg, während er die Probe in einem Stempel in die Hochdruckgefriermaschine einsetzt.

Die Maschine hat es in sich. Ein Knall erschüttert den Raum, ein Jet aus Stickstoff schießt binnen 500 Millisekunden aus dem Gerät hervor, umhüllt den Probenhalter - die Apfelzellen werden bei minus 192 Grad Celsius und einem Druck von 2000 Atmosphären kältefixiert. "Mit dem Druck kann man Beton schneiden", warnt Hohenberg, der mit einem kräftigen Ruck den Stempel aus der Halterung entfernt und sofort in das daneben gelegene Stickstoffbett steckt. Das muss schnell gehen, damit das Wasser in den Zellen nicht auftaut und seine zerstörerische Kraft entfalten kann. Gekostet hat dieses Wunderwerk der Technik dem HPI nichts, es wurde im Rahmen einer Industriezusammenarbeit entwickelt, die Patente redlich geteilt.

Bis die Forscher einen Steckbrief der Krankheitserreger in den Zellen erstellen können, müssen sie sich aber noch gedulden. "In einer Substitutionsapparatur ersetzen wir bei minus 90 Grad Celsius das Wasser in den Zellen durch Alkohol und fügen auch noch Kontrastmittel hinzu", sagt Hohenberg. Dieser Prozess läuft in sechs bis acht Stunden automatisch ab. Dann sind die Infektionsforscher einen großen Schritt weiter - aber immer noch nicht am Ziel.

Um das Wirken der Krankheitserreger in den Zellen schließlich unter dem Elektronenmikroskop beurteilen zu können, wird die Probe mit Acrylaten, die beispielsweise auch in Farben und Klebern stecken, bei minus 50 Grad Celsius eingepackt. Es entsteht ein kleiner Kunststoff-Block. Dieser wird von Diamanten, die in einer speziellen Maschine stecken, in hauchdünne Scheiben geschnitten. Die Schnitte sind wirklich hauchdünn. Würde man den Körper eines Toten so präparieren, würde das mehrere Millionen Jahre dauern, selbst wenn die Maschine 24 Stunden am Tag liefe, schätzt Hohenberg.

"Diese superfeinen Schnitte werden von einer hochauflösenden Kamera im Elektronenmikroskop dokumentiert und können mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms so wieder zusammen gesetzt werden, dass wir ganze Gewebebereiche lebensnah rekonstruieren können", erläutert Wissenschaftler.

Mit dem neuen tomografischen Elektronenmikroskop werden die Wissenschaftler auch in dickeren Schnitten verfolgen können, wie eine Infektion abläuft, wie sich Tumorzellen ausbreiten. "Wir werden also auch Bewegungsprofile der Krankheitserreger und Krebszellen anfertigen können", sagt Hohenberg. Das wird die Infektions- wie Krebsforschung in der Metropolregion Hamburg beflügeln.