Ötzi hat einer neuen Analyse seines Erbguts zufolge wahrscheinlich keine lebenden Nachfahren. Die genetische Linie des Tiroler Eismanns in Europa...

Ötzi hat einer neuen Analyse seines Erbguts zufolge wahrscheinlich keine lebenden Nachfahren. Die genetische Linie des Tiroler Eismanns in Europa sei in den rund 5000 Jahren nach seinem Tod vermutlich ausgestorben, berichten Wissenschaftler aus Italien und Großbritannien im Fachmagazin "Current Biology" (Bd. 18, Nr. 21).

Denkbar sei auch, dass die Abstammungslinie Ötzis extrem selten geworden ist und bei genetischen Untersuchungen bisher noch nicht entdeckt wurde. Mit einer speziellen Technik hatten die Forscher um Franco Rollo von der Universität Camerino (Italien) das Erbgut in den sogenannten Mitochondrien von Ötzis Zellen erstmals komplett entziffert: die mitochondriale DNA oder kurz mtDNA.

1994 hatten erste DNA-Untersuchungen des Gletschermanns ergeben, dass er noch lebende Nachkommen in Europa haben könnte. Dabei sei jedoch nur ein kleiner Teil der DNA untersucht worden, sagte Biologie-Prof. Martin Richards von der Universität Leeds.

Die Wissenschaftler hatten jetzt Erbgut aus einer Darmprobe isoliert, die Ötzi im Jahr 2000 entnommen wurde. Damals wurde der Eismann erstmals vollständig aufgetaut. Mit ihrer Untersuchung liegt nun die derzeit älteste mtDNA-Genom-Sequenz eines modernen Menschen überhaupt vor.

Das Analyseergebnis überrascht die Fachwelt: Ötzis Typ mitochondrialer DNA ist bislang gänzlich unbekannt. Frühere Untersuchungen von Ötzis Erbgut hatten gezeigt, dass der Eismann einer "K" genannten genetischen Linie angehörte. Experten sprechen auch vom "Haplotyp K", zu dem heute noch rund acht Prozent aller Europäer gehören. Ötzi fällt in die Subgruppe "K1", die sich wiederum in drei Teilgruppen aufspaltet. Wie die nun vorgestellte Untersuchung zeigt, passt Ötzis Erbgut in keine dieser drei. "Das bedeutet nicht, dass Ötzi spezielle persönliche Mutationen aufwies, die ihn von anderen unterschieden; in der Vergangenheit gab es eine Gruppe von Männern und Frauen, die die gleiche mitochondriale DNA besaßen wie er", sagte Franco Rollo. Die Forscher nennen die neu entdeckte Abstammungslinie nun "Ötzis Zweig".

Mitochondriale DNA wird ausschließlich von der Mutter an die Nachkommen vererbt und vermischt sich nicht mit dem väterlichem Erbgut. Da sich das mitochondriale Erbgut über die Jahrzehnte nur langsam verändert, stellen Analysen der mtDNA sozusagen ein Fenster in die Vergangenheit dar. Sie erlauben Aussagen über die Herkunft von Menschen und ihre Verwandtschaft untereinander.

Ötzi starb vor etwa 5300 Jahren im Alter von etwa 46 Jahren. Er wurde von einem Pfeil getroffen und dann vermutlich mit einem Keulenschlag getötet. Seine mumifizierte Leiche wurde 1991 nahe der österreichisch-italienischen Grenze gefunden und wird seit 1998 im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen ausgestellt.