Der Fund gilt als wichtigster seit Jahrzehnten für die Erforschung der Seerouten und Handelsbeziehungen im östlichen Mittelmeer zur Zeit Alexanders des Großen.

Hamburg. "Es entstand ein gewaltiger Seesturm, und das Schiff drohte auseinanderzubrechen", erzählt die biblische Geschichte vom Propheten Jona aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. Die Seeleute "ruderten mit aller Kraft, um wieder an Land zu kommen, doch sie richteten nichts aus." In ihrer Verzweiflung werfen sie den Gotteskünder über Bord. Der Sturm legt sich, Schiff und Besatzung sind gerettet, den Schwimmenden schluckt ein Riesenfisch.

2350 Jahre später haben Taucher zweieinhalb Kilometer vor der Küste Südzyperns einen antiken Frachter entdeckt, dessen Seeleute offenbar weniger Glück hatten: Er liegt zerschmettert in 45 Meter Tiefe. Erste geborgene Terrakotta-Amphoren zeigen, dass er Wein von der Agäis-Insel transportierte. Es ist der wichtigste Fund seit Jahrzehnten für die Erforschung der Handelswege und Wirtschaftsbeziehungen im östlichen Mittelmeer zur Zeit Alexanders des Großen.

Der Vergleich mit anderen Wracks zeigt schon vor der Rekonstruktion aus den Holzteilen auf dem Meeresgrund: Das Schiff entspricht dem griechischen Standardmodell für die Ägyptenfahrt: Mit 15 beziehungsweise vier Metern etwa doppelt so lang und breit wie ein Vierländer Gemüse-Ewer, gebaut aus bis zu zwölf Meter langen Pinienstämmen, segelte es bei Rückenwind fünf Knoten, kreuzte bei Gegenwind mit immerhin noch zwei Knoten, lud 100 bis 400 Tonnen und wurde etwa achtzig Jahre alt.

Die bauchigen, enghalsigen Krüge sind die Container der Antike; sie fassen zwischen fünf und 50 Liter. Der Kapitän ist zugleich Steuermann und nimmt sechs bis acht Seeleute mit, die bei Flaute kräftig rudern müssen - und noch kräftiger bei Sturm.

Die Trümmer auf dem Meeresgrund sollen ein Bild komplettieren, das frühere Entdeckungen schon in zahlreichen Details erkennen lassen: Die Unterwasser-Archäologen sprechen im fröhlichen Stil öffentlichkeitswirksamer Fundbeschreibung bereits von einem "Supercargo", doch belieferten damals bereits Tausende solcher Frachter die Häfen der Alten Welt mit Waren aus aller Welt - vom Lebensmittel bis zum Luxusartikel.

Die wichtigsten Lieferländer: Aus Ägypten, aber auch aus der heutigen Ukraine, vor allem von der Krim, kommt in großen Mengen das Getreide, ohne das Großstädte wie Athen ihre Menschen gar nicht mehr ernähren können. Der große Hafen von Piräus wird zur Drehscheibe eines internationalen Seehandels, der alle Küsten der damals bekannten Welt erreicht.

Auch Fische kommen vom Schwarzen Meer, dazu Käse aus Sizilien, Feigen aus Kleinasien und gepökeltes Schweinefleisch aus Italien. Athen seinerseits exportiert die in aller Welt beliebten Oliven und das hochwertige attische Öl. Die griechischen Inseln wie Chios, Rhodos oder Samos produzieren würzige Weine.

Wichtigste Handelspartner sind die Phönizier im heutigen Libanon. In den Lagerhäusern der berühmten Hafenstädte Sidon und Tyros warten Elfenbein aus Indien, Weihrauch aus Arabien, Seide aus China und der begehrte Farbstoff der heimischen Schnecke "purpura murex" auf zahlungskräftige Kundschaft. Für den Handel mit Ägypten gründen griechische Kaufleute im Nildelta den Handelsposten Naukratis ("Seeherrschaft").

"Wie können einfache Bauern ohne jegliche Erfahrung in der Seefahrt irgendetwas von Bedeutung schaffen?" Mit dieser rhetorischen Frage hat Athens großer Staatsmann Perikles hundert Jahre zuvor die zaudernden Landsleute zum Bau des Großhafens Piräus provoziert. Jetzt stehen dort hinter einem Wald von Masten sich sanft in den Wellen wiegender Schiffe Dutzende riesiger Säulenhallen, in die Lastträger die Schätze der Weltmeere schleppen. In der Getreidebörse werden die neuesten Preise geschrien, aus den anderen Lagerhallen dringt der Singsang von Händlern aus aller Welt, denn auch Ionier und Italiker, Syrer und Syrakusaner haben sich dort niedergelassen, wo die größten Gewinne winken. Land dürfen sie nicht besitzen, wohl aber Schiffsraum. Investoren von Risiko-Kapital haben keine Mühe, wagemutige Kapitäne aufzutreiben, die sich mit den Nussschalen auf stürmische und von Piraten bedrohte Fahrten wagen: Die Erträge liegen pro Fahrt bei dreißig Prozent des eingesetzten Kapitals, die Renditen übersteigen oft hundert Prozent im Jahr.

Auch das jetzt vor Zypern gefundene Wrack zeigt: Das Fassungsvermögen ist wichtiger als die Schnelligkeit oder Manövrierfähigkeit. Der hochbordige Schiffsrumpf taucht tief ins Wasser ein, jede Strömung wird gefährlich, und eine halbwegs sichere Fahrt ist nur dicht unter Land möglich. Bei Nacht wird das plumpe Fahrzeug irgendwo auf den Strand gezogen. Und wenn, wie bei den Routen nach Naukratis, die Reise über das offene Meer unvermeidlich ist, haben die Kapitäne kein anderes Orientierungsmittel als Sonne, Sterne und die Winde der Jahreszeit.

Die letzte Fahrt des Schiffes, die südlich Zyperns endete, lässt sich nach den Routen jener Zeit rekonstruieren: In Chios füllte der Frachter nach Abflauen der Winterstürme zwei Tonnen Wein in seine Terrakotta-Tanks. Im Frühjahr segelte er durch die Ägäis nach Athen und tauschte die Fracht gegen Öl. Damit ging es über Kreta nach Naukratis an den Nil. Die Rückreise führte oft über Zypern. Die Schiffe legten an, um die begehrten zyprischen Mandeln aufzunehmen, umrundeten dann die Insel mit den Winden und segelten an der Küste Kleinasiens nach Westen. In einem Schwesterschiff, das ein Taucher 1967 vor dem kleinen Hafen Kyrenia entdeckte und das jetzt rekonstruiert in einem eigenen Museum steht, fanden sich neben 400 Amphoren aus Rhodos und 29 Mühlsteinen mehr als 9000 Mandeln. Das gemächliche Tempo erlaubt meist nur eine einzige solche Rundreise im Jahr. Im Herbst steuern die Schiffe wieder sichere Häfen an. Die Kapitäne zahlen ihre Geldgeber aus, die Reeder streichen ihre Chartergebühren ein. Manche haben das Pech, dass ihr Schiff von Piraten gekapert worden ist. Dann ist meist ein Lösegeld fällig, vorteilhaft für beide Seiten: Die Kaufleute erhalten ihre Waren zurück, die Piraten vermeiden das Risiko, das mit dem Verkauf gestohlener Güter verbunden ist: Die Strafe für Seeraub ist mal Kreuzigung, mal Häutung, aber immer der Tod.

Zu den Kosten eines solchen Geschäfts außerhalb der Legalität gehört auch, dass der Kaufmann Kapitän und Besatzung auslösen muss, wenn sie nicht verkauft werden sollen: Ein Drittel der Bevölkerung Athens besteht aus Sklaven. Wer nicht in den Silberminen schuften muss, kann mit etwas Glück Karriere machen: Der Sklave Pasion beginnt als Lastträger, dient seinen Besitzern, zwei Bankiers, als Buchhalter, bringt es bis zum Direktor einer Bank, wird zum Dank freigelassen, wirtschaftet auf eigene Rechnung weiter und beschließt seine Tage als schwerreicher Inhaber der athenischen Bürgerrechte.

Die Schiffe sind nicht ganz schutzlos: Nimmt das Piratenunwesen überhand, segeln die Frachter im Konvoi, begleitet von Kriegsgaleeren, die schnell wie Wasserflöhe über die Wellen huschen und bei Flaute auch schon mal einen besonders schlappen Schützling an den Haken nehmen. Die Seeleute, die vor Südzypern untergingen, mögen sich schwimmend an Land gerettet haben, vielleicht geklammert an Ballen und Kisten. Von ihrem Unglück zeugt keine Chronik, denn solche Ereignisse waren alltäglich wie heute ein Unfall mit einem Brummi. Für die Wissenschaft aber ist der Fund ein unschätzbarer Gewinn: Er erlaubt einen Blick in einer Zeit, als die internationale Handelsschifffahrt erst so recht begann.