Wie entsteht die Welt in unserem Kopf? Wieso können wir zeitgleich ein Glas Wasser sehen, den Duft einer Rose riechen, eine Katze streicheln und Musik von Elton John hören, wo doch der Blick ins Gehirn zeigt, dass Nervenzellen in ganz unterschiedlichen Regionen aktiv sind? Wie kommunizieren die 100 Milliarden Nervenzellen miteinander? Auf der Suche nach der Sprache des Gehirns sind die Neurowissenschaftler jetzt einen großen Schritt vorangekommen. "Wir wissen jetzt, wie sich einzelne Worte, die im Gehirn gebildet werden, zu Sätzen zusammenfügen. Wir kennen also die Grammatik", sagt Prof. Andreas Engel, Direktor des Instituts für Neurophysiologie und Pathophysiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Was der Mediziner und Philosoph so anschaulich beschreibt, klingt in der Studie, die heute im Journal "Science" erscheint, abstrakter.

Der Schlüssel zum Verständnis, wie das Gehirn all seine unfassbaren Leistungen vollbringt, liegt sehr wahrscheinlich in der zeitlichen Koordination der elektrischen Aktivität von Nervenzellen. Diese Zellen übertragen Informationen durch elektrische Impulse, sogenannte Aktionspotenziale. Im Verbund können sie Informationen verarbeiten und speichern. "Unser Hirn kann die Information aus unterschiedlichen Regionen kombinieren, weil sich Neurone zeitlich abstimmen und in einem gemeinsamen Rhythmus aktiv sind. Und jetzt wissen wir auch, wie sie das tun. Sie synchronisieren die Zeitpunkte, an denen sie feuern, also ihre Aktionspotenziale erzeugen", sagt Engel, der seit mehr als 20 Jahren mit Experimenten die einst umstrittene "Korrelationstheorie der Hirnfunktion" untermauert.

Bislang war unklar, wie "Telefonkonferenzen" im Gehirn funktionieren. Wie entsteht aus den unterschiedlichen elektrischen Aktivitäten einzelner Nervenzellen im Gehirn schließlich die Aktivität, die das Elektroenzephalogramm (EEG) so schön zeigt? "Stellen Sie sich die Hirnwellen vor, die ein EEG aufzeichnet. Immer wenn Sie einen Wellenberg sehen, dann tauschen die Regionen im Gehirn Information aus", erläutert Engel. Es sei so, als ob dann kurzfristig Telefonleitungen freigeschaltet würden.

Und kurzfristig ist wirklich kurzfristig. Die Kommunikation, die uns einen Gesamteindruck von der Welt beschert, dauert nur fünf bis zehn Millisekunden. Zu diesem Ergebnis gelangten die Forscher, als sie erneut Versuchsdaten auswerteten, die Engel und seine Kollegen Ende der 1990er-Jahre am Frankfurter Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Tierexperimenten gewonnen hatten. "Unsere Erkenntnisse legen nahe, dass nicht nur die Regionen, die für die Wahrnehmung zuständig sind, sondern auch motorische Regionen so arbeiten", sagt Engel. Somit wäre Schachspielen im Prinzip nichts anderes als Treppensteigen, Rechnen nichts anderes als Schwimmen, Denken also Bewegung.

Diese These stützen Studien, die Engel und sein Team am UKE mit Parkinson-Patienten machen. "Dort sehen wir, dass die Aktivität der motorischen Schaltkreise verlangsamt ist. Der Patient kann eine Aktivität nicht mehr zielgerichtet ausführen. Behebt man den Mangel an Dopamin, einem Botenstoff im Gehirn, springt die schnelle Kommunikation wieder an, dem Patienten geht es besser", sagt Engel und fügt hinzu: "Die schnelle Kommunikation ist somit auch eine spezifische Kommunikation. Sie erlaubt dem Gehirn, Dinge zu unterscheiden. Außerdem wird es so möglich, wichtige Informationen gezielt durch den Dschungel der neuronalen Verbindungen hindurchzuleiten. Würden sich die Informationen überall im Gehirn gleich verbreiten, ginge nichts mehr." Genau dies passiert bei epileptischen Anfällen, bei denen eine zu starke Synchronisation jede sinnvolle Hirntätigkeit unterbindet.

"Es wäre möglich, dass diese neuen Erkenntnisse uns eines Tages sogar helfen, die Grundlagen des Bewusstseins zu verstehen - auch hierfür haben wir erste Hinweise aus Experimenten", sinniert der Mediziner, der die vielen offenen Fragen als eine wundervolle Herausforderung für seine weitere wissenschaftliche Arbeit betrachtet. Gleichwohl sind die Forscher beim Sturm auf die "Zitadelle", wie Charles Darwin einst das menschliche Gehirn nannte, jetzt einen großen Schritt weiter.