Neurowissenschaftler sagen voraus: Man kann Maschinen mit der Kraft des Gehirns steuern. Wer verhindert den Missbrauch?

Das Gehirn belauschen, mit der Macht der Gedanken Apparate steuern, Computer bedienen, Prothesen bewegen - daran arbeiten Neurowissenschaftler. Es gelingt bereits, allein mit Gedankenkraft Briefe zu schreiben. Das ist erst der Anfang. Das Anwendungspotenzial des Gedankenlesens ist enorm, wie Prof. Gabriel Curio (Uniklinikum Charite, Berlin) auf einem Kolloquium der Gottlieb-Daimler-und-Karl-Benz-Stiftung in Berlin betonte. Diese Technik könnte Menschen mit schweren motorischen Störungen das Leben erleichtern. "Ist ihr Gehirn unversehrt geblieben, sind sie in der Lage, Körperbewegungen zu planen und vorzubereiten." Diese Willensbildung kann mittels Elektroenzephalogramm (EEG) aufgezeichnet werden. Dann ermitteln Computer das individuelle, gedankenspezifische Aktivierungsmuster im Gehirn. Zum Schluss werden die Daten so aufbereitet, dass die Patienten Elektrorollstühle, Textverarbeitungsprogramme oder Prothesen mit Gedanken steuern können", so Curio. Der Vorteil: Einmal entwickelt, könne die Technik auch zu Hause eingesetzt werden.

Die EEG-gestützten "Brain-Computer-Interfaces" (BIC) könnten Autofahrer, Piloten oder Mediziner warnen, wenn ihre Gehirnleistung nachlässt. In Japan werden durch EEG-Systeme die Hirnwellen von Menschen überwacht, die gefährliche Maschinen bedienen. Bei Übermüdung wird abgeschaltet.

Die Grundidee dieser Technik: Jeder Gedanke geht mit einem charakteristischen und konstanten Aktivierungsmuster im Gehirn einher, einem "Gehirnabdruck". "Dieser kann von bildgebenden Verfahren gelesen werden", sagte Prof. John-Dylan Haynes (Berstein Center, Berlin). Wird ein Computer so programmiert, dass er diesen Abdruck erkennt, kann ein Außenstehender ablesen, was der andere gerade denkt. Hayes und sein Team haben sogar schon den Inhalt von Gedanken vorausgesagt. Testteilnehmern wurden Zahlenpaare gezeigt und gefragt, ob sie diese addieren oder subtrahieren würden. Allein durch die Beobachtung der Hirnaktivität mit funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRI) wussten die Forscher, welche Möglichkeit die Probanden wählen würden.

Noch sei man von einer universellen Gedankenlesemaschine weit entfernt, räumte der Forscher ein. Dazu bräuchte man ein umfassendes Wörterbuch, das alle Gedanken in Hirnaktivitätsmuster übersetzt. Vermutlich gebe es nicht für jeden Gedanken einen charakterischen Gehirnabdruck. "Bislang haben wir Gehirnabdrücke über vier Wochen ermittelt, die zu dem Gedanken ,Was ist mein Lieblingsfilm' gehören", erzählte Haynes. Er will prüfen, wie lange sich die Abdrücke halten. Denn Haynes ist überzeugt, dass sie so unverwechselbar sind wie ein Fingerabdruck. Neurotechnik kann nicht nur beschädigte Funktionen reparieren, sie könnte auch die kognitiven Leistungen Gesunder steigern, zur Kontrolle und Steuerung von Menschen genutzt, militärisch missbraucht werden. "Die sich rasch entwickelnden Konzepte werden medizinisch und kommerziell bedeutsam sein. Sie können jedoch militärisch genutzt werden. Deshalb sollten Wissenschaftler und auch die Öffentlichkeit über mögliche ethische Folgen der Anwendungsoption diskutieren", forderte Curio, auch wenn die Technologie des Gehirnlesens noch nicht weit über Labore hinausgekommen sei.

Ist es wünschenswert, dass Wissenschaftler mit Elektroden den Gedankenfluss anregen, Gefühle und Verhalten steuern? Worin besteht der Unterschied zwischen einem Herzschrittmacher, Seh- und Hörimplantaten und Neuroprothesen, die nachlassende Gedächtnisleistung verbessern? Darf das Militär mit Gedankenblitzen Bomben auslösen? Gibt es im Gehirn Bereiche, in die man auf keinen Fall eingreifen soll - so wie gentechnische Manipulationen von Ei- und Samenzelle verboten sind?

Außerdem gibt es handfeste medizinische Fragen zu beantworten. Eine erstaunliche Beobachtung machte nämlich Prof. Miguel Nicolelis (Durham, UK). "Der Gebrauch einer Gehirn-Computer-Schnittstelle zur Auslösung von Bewegungen eines Roboterarmes beispielsweise wirkt offenbar auf bestimmte Areale des Gehirns, und zwar auf die, die der Bewegung und Wahrnehmung zugeordnet werden", so der Forscher in Berlin. Ist unser Körper wirklich nur ein Wirt für Implantate und Neuroprothesen, oder verändern ihn diese Eingriffe substanziell?

Einig waren sich die Wissenschaftler, dass jetzige Techniken nicht ausreichen, das Gehirn zu verstehen. Überzeugt waren sie, dass sie neue Techniken und bessere mathematische Modelle entwickeln können, um das Gehirn zu verstehen lernen. Dabei profitiert die Forschung davon, dass Biowissenschaften, Medizin, Informatik, Kognitionswissenschaften und die Philosophie sich immer enger verzahnen.