Mit einer 520 Millionen Dollar teuren Mission erkunden Wissenschaftler die brodelnde Oberfläche unseres Zentralgestirns. Die ersten Bilder der Raumsonden enthüllen neue Details.

Uns liegen die ersten Bilder der beiden Stereo-Raumsonden vor, die im Oktober vergangenen Jahres von Cap Canaveral aus ins All geschossen wurden. Erstmals können wir Sturmwolken aus geladenen Teilchen von der Sonnenoberfläche bis zur Erde direkt verfolgen", schwärmt Dr. Volker Bothmer vom Institut für Astrophysik der Uni Göttingen. Er ist Projektleiter für die deutsche Beteiligung an Stereo (Solar Terrestrial Relations Observatory) und hat die 520-Millionen-Dollar-Mission der Nasa mit entwickelt. Für die Auswertung der Daten und ihre Umsetzung in 3-D-Bilder und -Filme kooperiert die Nasa mit dem Hamburger Planetarium und der Uni Göttingen.

Mit Stereo soll die brodelnde Oberfläche der Sonne erkundet, das Rätsel der solaren Stürme gelöst, Vorhersagen des Weltraumwetters möglich werden. Denn neben ihrem intensiven Licht sendet die Sonne auch einen kontinuierlichen Teilchenstrom, den Sonnenwind, aus. Häufig schießt dieser sogar in Form gewaltiger Gaswolken ins All. "Die Aufnahmen von Stereo zeigen uns viel genauer, was auf der Sonne geschieht, weil erstmals Bilder in dreidimensionaler Qualität von der Sonne, den Sonnenwinden und Sonneneruptionen vorliegen", so Bothmer, der mit Kollegen die Spezialkameras für die Sonden konstruierte. "Soho", der europäisch-amerikanische Sonnensatellit, lieferte in den vergangenen elf Jahren nur vage Anzeigen, oft wurden die Forscher von einem Sonnensturm überrascht. Dabei schleudern die gewaltigen Ausbrüche auf der Sonne, die Coronal Mass Ejections (CMEs), jedesmal Milliarden Tonnen von Sonnenmaterie in riesigen Gasblasen ins All. Diese rasen mit Geschwindigkeiten von bis zu 3000 Kilometern pro Sekunde durch den interstellaren Raum. Schon kurz nach dem Ausbruch sind die Gasblasen dabei um ein Vielfaches größer als die Sonne. "Obwohl sie unser Leben, die technische Infrastruktur auf der Erde und im All beeinflussen, sind die Mechanismen ihrer Entstehung weitgehend unbekannt", sagt Bothmer, der seit Jahren die Sonne im Visier hat.

Zwar wissen die Astronomen seit mehr als 200 Jahren, dass die Aktivität der Sonne schwankt, dass sie im Durchschnitt alle elf Jahre ihren Höhepunkt erreicht - doch was löst die koronalen Massenausbrüche aus? Warum polt sich das Magnetfeld der Sonne alle elf Jahre um? Woher stammt überhaupt das Magnetfeld der Sonne? Das sind einige der Fragen, die die rund 200 an der Mission beteiligten Forscher beschäftigen. Der Stern, der rund 150 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist, ist räselhaft.

In der Raumfahrt sind die Effekte des "Weltraumwetters" ein großes Problem. 1994 etwa fiel der kanadische Satellit ANIK aus, er überlebte den Beschuss durch die rasend schnellen Teilchenwolken nicht. Auch die Messgenauigkeit des Global Position Systems (GPS) leidet unter ihnen. "Die Angaben können schon einmal um hundert Meter falsch sein. Bei industriellen Anwendungen und auch bei militärischen Aktionen kann das fatale Folgen haben", erläutert Bothmer.

Die Teilchenwolken erreichen je nach Geschwindigkeit, die zwischen 300 und 3000 Kilometern pro Sekunde beträgt, die Erde etwa ein bis fünf Tage nach der Eruption auf der Sonne. Das Wechselspiel der Teilchenwolken mit dem Magnetfeld der Erde erzeugt geomagnetische Teilchenstürme. Ihre Stärke reicht mitunter sogar aus, um die Telekommunikation zu stören und die Energieversorgung zu unterbrechen. "1989 beispielsweise brach das Stromnetz von Quebec zusammen, Fernmeldesatelliten fielen aus, und Millionen von Funkverbindungen waren unterbrochen", erzählt Bothmer. Zudem heizte sich die Erdatmosphäre auf und dehnte sich so aus, dass Satelliten aus ihren Laufbahnen absanken. Und neue Gefahr ist im Verzug. "Mit der Miniaturisierung von Computerteilen kann jedes elektronische Gerät Opfer des Weltraumwetters werden", warnte kürzlich Jean-Luc Autran vom französischen Wissenschaftszentrum CNRS. Die kosmische Strahlung, die den Maschinen früher auf der Erde kaum etwas anhaben konnte, setzt ihnen nun auch hier zu. Experten halten daher Ausfälle nicht mehr nur im All für möglich.

Dabei beschert uns das Weltraumwetter auch wunderschöne Naturschauspiele. Treffen die elektrisch geladenen Teilchenwolken des Sonnenwindes oder der CMEs, auf das Magnetfeld der Erde, so kann es zu Kurzschlüssen zwischen den Feldern kommen - die spektakulären Himmelslichter entstehen. Massenauswürfe der Sonne mit Geschwindigkeiten von über 1000 Kilometern pro Sekunde drücken das Erdmagnetfeld sogar so weit zusammen, dass selbst in Deutschland und Spanien Polarlichter zu beobachten sind.

Derart mächtige Eruptionen haben noch weitere Nebeneffekte: Strahlenblitze, ausgelöst durch magnetische Kurzschlüsse auf der Sonne, erzeugen direkte Veränderungen der Erdatmosphäre, stören die Telekommunikation. Die Gasblase beschleunigt dabei die Kerne der Wasserstoffatome in der Sonnenatmosphäre bis nahezu Lichtgeschwindigkeit. "Sie treffen bereits nach wenigen Minuten auf der Erde ein. Flugzeug- oder Raumschiff-Besatzungen sind solchen Protonenstürmen schutzlos ausgeliefert. Auch zur Entstehung dieser bisher unvorhersagbaren Teilchenstürme wird Stereo wichtige neue Erkenntnisse liefern", hofft Bothmer.

Informationen im Internet:

www.nasa.gov/mission_pages/stereo/main/index.html