Ex-Deutschland würde bald zu 95 Prozent aus Wald bestehen. Am längsten bräuchten die Meere, um sich zu erholen.

Hamburg. Die Reste der Backsteingebäude, die heute noch als Speicherstadt Touristen und Hamburger imponieren, sind im undurchdringlichen grünen Dschungel nicht mehr auszumachen. Elbe und Rhein mäandern durch das Land, bilden eine grüne Schlangenlinie im noch grüneren Urwald. So oder so ähnlich könnte das, was einmal Deutschland war, in 100 Jahren aussehen, wenn von heute auf morgen die Menschen die Erde verlassen würden. Sie sind die bestimmende Spezies des Planeten, doch würde die Natur viele Spuren der Menschheit bereits innerhalb weniger Jahre oder Jahrzehnte ausradieren.

Der Mensch hat sich im Laufe seiner Existenz und Fortentwicklung immer größere Landflächen genommen, um Nahrung und Energie zu gewinnen, um zu wohnen und zu reisen, um Abfälle zu entsorgen. Entsprechend groß ist sein "ökologischer Fußabdruck". Umweltwissenschaftler errechneten, dass dieser im Weltdurchschnitt 1,8 Hektar beträgt, die virtuellen Füße der EU-Bürger treten sogar 4,9 Hektar (der) Erde platt. Wie lange würde es also brauchen, bis sich unsere Fußabdrücke auf dem Planeten nicht mehr abzeichnen?

Wäre der Mensch von heute auf morgen verschwunden, würde als erstes (mehr) Ruhe einkehren. Der Verkehrslärm erstirbt, die Luft wird reiner. Nach und nach würden die Lichter ausgehen, zur Stille gesellt sich die Sternenvielfalt des Nachthimmels, die im kunstlichtdurchfluteten Europa kaum mehr erlebbar ist. "Sehr schnell, nach 24 oder 48 Stunden, wird man die ersten Blackouts sehen, weil den Kraftwerken der Brennstoff fehlt", prognostiziert der Brite Gordon Masterton, Präsident des Ingenieursverbandes, in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins "New Scientist".

Kernkraftwerksbauten könnten dank ihrer massiven Hülle Jahrhunderte überstehen - "ihre Lebensdauer ist sehr, sehr lang, es sei denn, die Zerstörung kommt von innen her", meint Victor Sigrist, Professor für Massivbau an der TU Harburg. Mangels Wartung mag es in dem einen oder anderen Atomkraftwerk der Welt zur Kernschmelze kommen - mit der Folge, dass die "Genesung" von Mutter Erde in weiten Landstrichen durch die Strahlenbelastung verzögert wird.

Fast alle anderen Gebäude verschwinden umweltschonend. Sigrist: "Die Natur erobert sich den Raum zurück, den die Gebäude einnehmen, indem sie die Bauten bewächst." Zuerst zerfressen Gewürm, Käfer und Asseln, Pilze und Bakterien die Holzhäuser und Bauteile mit textiler Bespannung. Auch den Stahl-Glas-Konstruktionen gibt Sigrist - je nach Lage und Ausführung - nur einige Jahrzehnte: "Es werden sich Moos, Algen und anderes Grün ansiedeln. Vor allem leicht gespannte Konstruktionen sind anfällig für das zusätzliche Gewicht, die Wurzeln leisten ein Übriges."

Beton könne ewig halten, verspricht der Bauexperte. Tragwerke wie Pfeiler, Decken, Brücken werden mehr als 100 Jahre stehen bleiben, nur sind sie unter dichten Pfanzen nicht mehr zu erkennen. Allerdings: Die Beständigkeit bleibt nur, wenn der Stahl, mit dem der Beton verstärkt ist, nicht mit Luft in Berührung kommt und zu rosten beginnt. Andernfalls sprengt das Metall Betonteile ab, Wasser dringt ein, die Zersetzung beschleunigt sich. Viele Gebäude werden von oben nach unten verfallen: Zuerst stürzen die Dächer ein, Feuchtigkeit zerstört Holzkonstruktionen und sprengt bei Frost Wände und Decken.

Von fast allen Gebäuden wird in ein paar Hundert Jahren nur noch Schutt übrig sein, anders als bei den Tempelanlagen Asiens oder Mittelamerikas, die Jahrtausende überstanden haben. Eines haben diese mit der hiesigen Architektur gemein: Sie sind längst vom Wald erobert worden.

"Ohne menschliche Eingriffe würde sich auf 90 bis 95 Prozent der Fläche Deutschlands Wald entwickeln", sagt Mark Süsser, Biologe beim Naturschutzbund Deutschland. "Dazu gäbe es ein paar Seen, Sümpfe, Flussauen und Bergland." Damit stünden die Gewinner in der Tierwelt fest: Spechte und Rothirsche, aber auch Insekten und Käfer, die Totholz mögen, würden das Land in großer Zahl bevölkern. Kulturfolger des Menschen wie Weißstorch, Feldlerche und Hausspatz, Wanderratte und Feldhamster hätten das Nachsehen. Wölfe, Luchse und Wildkatzen hingegen würden Lebensraum zurückerobern, auch weil sie bei ihren Wanderungen nicht mehr totgefahren würden.

Die Fischwelt würde davon profitieren, dass die industriell betriebenen Fangflotten auf dem Hafen- oder Meeresgrund verrosten. Allerdings ist fraglich, ob sich der Zustand, der vor der massiven Fischerei herrschte, jemals wieder einstellen könnte. "Die marinen Ökosysteme haben oft mehrere stabile Zustände", erklärt Rainer Froese, Ökologe am Leibniz Institut für Meereswissenschaften in Kiel. "In der Ostsee gibt es zum Beispiel zwei: Die dominierende Fischart ist der Dorsch, der Sprotten und Heringe frisst und diese dadurch in Schach hält. Wenn der Dorsch über eine kritische Grenze weggefischt ist, fressen die Heringe und Sprotten die Dorschlarven und sorgen dafür, dass ihr Fressfeind kaum mehr auftaucht."

Die ökologischen Fußabdrücke am Meeresgrund werden auf jeden Fall lange Zeit überdauern. Würden Außerirdische in ein paar Tausend Jahren auf der Erde nach Spuren einer Zivilisation suchen und dabei Bohrkerne aus dem Meeresboden nehmen, so würden sie eine dünne Schicht mit konzentrierten Schwermetall-Gehalten entdecken, ebenso radioaktive Isotope von den Kernschmelzen einiger Atomkraftwerke. In der Atmosphäre ließen sich noch Spuren von künstlichen Gasen, vor allem Fluor-Kohlenwasserstoffe, finden. Denn es vergehen Zehntausende Jahre, bis die Hälfte von diesen in der Natur nicht vorkommenden Substanzen abgebaut ist.

Der von den Menschen angefachte Klimawandel wird immerhin noch einige Jahrhunderte nachwirken. Zwar wird das Treibhausgas Kohlendioxid größtenteils von den Ozeanen aufgenommen, doch wirken die Weltmeere gleichzeitig wie riesige Wärmespeicher (noch haben sie einen abkühlenden Effekt auf die Temperaturentwicklung der Atmosphäre). Zudem spricht vieles dafür, dass durch die Erwärmung vermehrt Methan - ein gut 20-mal stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid - in die Atmosphäre gerät. Es entweicht aus auftauenden Permafrost-Böden, vielleicht auch aus den gefrorenen Methanhydraten am Meeresboden.

In einigen Tausend Jahren würden außerirdische Besucher zwar die Speicherstadt nicht mehr erkennen, aber spätestens wenn sie nach Spuren einer Zivilisation zu graben beginnen, finden sie unter den Gebäuderesten der Städte interessante Strukturen: Schächte und Kanäle, Reste der Telekommunikation wie etwa Glasfaserkabel und vieles mehr. "Die heutige Infrastruktur würde sich abzeichnen, wenn auch nicht so deutlich wie die Wasserleitungen im antiken Rom, denn sie ist heute natürlich viel komplexer", sagt Thomas Hengartner, Volkskundler an der Universität Hamburg. "Auch die Kehrseite der Kultur bleibt lange erhalten - so wie wir uns jetzt mehr als 1000 Jahre alten Müll anschauen, um zum Beispiel aus Knochen und konservierten Samen Erkenntnisse zur damaligen Ernährung zu gewinnen, könnte später vor allem das anorganische Material Hinweise zu unserer Lebensweise liefern."

Um auf Nummer sicher zu gehen, gibt es in einem Bergwerkstollen im Schwarzwald ein Depot, wo alle wichtigen deutschen Kulturschätze und Zeitzeugnisse auf Mikrofilm dokumentiert sind. Etwa 600 Millionen Aufnahmen sollen dort bereits lagern. Hengartner: "Man gibt sich Mühe, die Zeugnisse unserer Kultur 10 000 Jahre nach dem Ereignis X zugänglich zu machen - für wen auch immer." Bleibt zu hoffen, dass die zukünftigen Spurensucher das Depot überhaupt finden und dann über entsprechende Technik und Wissen verfügen, um die Dokumente auf den Mikrofilmen entziffern zu können . . .